Archiv der Kategorie: Eindrücke

Text über Text über Text

Just in der Woche, nachdem die letzte Schreibmaschinenfabrik in Indien schloss, waren wir im Museum. Unglaublich, diese vielen Modelle, die es zu bestaunen gab: Hermes und auch die Baby war da, Kugelköpfe und anderes vormodernes Zeugs. Und ein Mann mit Leidenschaften.

Er veranstalte Wettbewerbe auf mechanischen Schreibmaschinen. Er hat mich eingeladen, da auch mitzumachen, ich hätte ein bisschen Talent, auf diesen alten Dingern schnell zu schreiben. Es klapperte auch, und ich konnte verstehen, weshalb wieder auf Schreibmaschine umsteigt, wer Text in seiner Materialität liebt.

Es klopft, wenn ich auf die Taste haue, der Papierwagen verschiebt sich um einen Buchstaben nach links und sobald ich die Zeile vollgeschrieben habe, muss ich die linke Hand von der Tastatur nehmen, den Zeilenschalter betätigen und den Wagen nach rechts schieben. Eine grandiose Erfindung. Spürst du den Text?

Manchmal aber auch nicht so: Für den computergewandten Schreiber, macht sich doch das mechanische Manko bemerkbar: Immer wieder kommen sich die Typen in die Quere, weil die Computergewohnheit ganze Wörter schnell schreiben lässt und nicht nur einzelne Buchstaben. Die Bewegungsabläufe sind viel mehr vom Wort oder gar vom Satz her gedacht als bei diesem mechanischen Ding.

Wofür die Schreibmaschinenfetischisten ihre Maschine aber lieben, das ist wohl die Analogität, die Linearität und die Singularität. Denn ja, es ist so etwas richtig Analoges, an dem man die rohe Gewalt ausleben kann (Rohkost soll gesund sein), manchmal spielt die Maschine sogar Gegner: Nämlich dann, wenn man sich die Finger so richtig schön zwischen den Tasten einklemmt.

Aber Konzentration aufs Wesentliche: Kein Schirm, der flackert oder konkurrenzierende Buchstaben in die Augen brennt. Auf dem Schreibtisch steht allein die Schreibmaschine mit eingespanntem Papier und zwingt einen zu Linearität. Nicht dass nicht die Softwareentwickler darauf reagiert und Programme entwickelt hätten, nein, bei der Schreibmaschine schreibt man nur in der einen Linie, in der man eben gerade schreibt. Einfach so kurz ein Wort verschieben oder am Ende einer Zeile weiter oben etwas einfügen, das geht nicht. Es gehört an der Schreibmaschine zur grössten Kunst, wieder auf richtiger Zeilenhöhe einzufädeln, wenn man einmal beschlossen hat zu wechseln.

Statt Softwareupdates gibt es bei der Maschine neue Farbbänder, oder wenn man so ein IBM-Ding mit Kugelkopf ausgesucht hat, auch neue Köpfe mit anderen Schriften. Und Papier, da muss man dauernd updaten, sonst schreibt man Text über Text über Text.

Und zur Singularität? Ja, das ist es: Das Dokument existiert genau ein Mal, nicht in Tausend Ausdrucken. Den Text gibts auf Papier mit dieser Tinte durchs Band aufs Blatt geschlagen. Aber auch da begeistert die Trickkiste: Mit Durchschlagpapier kann man gleichzeitig mehrere Blätter beschreiben.

Nummern

Ankommen um acht Uhr, mit zwei Minuten Verspätung. Zuerst eine Nummer fassen, sich zu den anderen setzen, die auch eine sechs zuvorderst haben. Die ersten werden nach einer halben Stunde aufgerufen, ungeduldig. Bis zur 27 geht es noch zwei Aufrufe weiter. Dann werden Nummern getauscht: Die alte Nummer abgeben, in der Zwischenzeit nummernlos werden.

Eine neue Nummer entgegennehmen. Mit der 508, das Büchlein abgeben, Geld wechseln: Fünfliber. Die Bagage in ein Zimmer stellen, in dem die Fünfhundertacht vorkommt, den Fünfliber in ein Schliessfächlein legen, das mit 508 angeschrieben ist. Kein Schliessfach mit 508. Den Fünfliber trotzdem reinlegen.

Auf einen Stuhl sitzen, der mit 508 angeschrieben ist. Den Zettel mit der Fünfhundertacht entgegennehmen, der für einen anderen gedacht war: Der Name ist überklebt. Immer wieder Foifhundertacht gerufen werden. Saugnäpfe aufgeklebt bekommen, die einen erhöhten Blutdruck und -puls feststellen und Rundspuren hinterlassen. In eine Messstation hineinatmen: «Ich habe keine Zeit diese Messung noch zehn Mal durchzuführen jetzt machen Sie mal richtig. Ist wurscht, wenn Sie einen Hustenreiz bekommen, ist ja nur ein Mal, verdammt!»

Immer wieder diese Nummer um den Hals legen, beim Appell in Stereo rufen, dass die 508 da ist. Dann früher als abgemacht aus dem Zimmer gerufen werden, weil jetzt alles anders wird. Die Fünfhundertacht muss in der ersten Charge mit, um dann mit dem Namen angesprochen zu werden. «Sie werden heute Abend über den Lautsprecher aufgerufen, dann können Sie gehen.»

Zum Schluss die Rückgabe der Nummer unterschreiben.

Nymphéas

Vor einer Woche sind wir zwischen den Bildern hin und her gelaufen. Ich wunderte mich darüber, wie ein Mann in einem Leben so viele Bilder sammeln kann. Man muss dazu natürlich ein grosses Kriegsbudget haben, aber Bührle scheint gerade dies gehabt zu haben. Und dann diese unterschiedlichen Stile: Da stehen gotische Skulpturen neben neben den Künstlern der Moderne, Natures mortes neben Familienessen. Da weiss man manchmal nicht mehr genau, welcher der Teile nature und welcher mort ist, das ist im Barockteil einfacher, weil der Totenkopf gleich nebenan liegt.

Besonders angetan haben es mir die Zuschauer, denen man so schön zuschauen kann, wie sie einem zuschauen, weil man von einem Bild zum anderen geht und wieder zurück und wild gestikuliert, welche Farbkomposition einem besser gefällt. Oder wie die Leute beginnen, plötzlich auch immer wieder die Nähe zum Bild zu verändern, weil das aussieht, als ob man etwas von der Kunst verstehen würde Kunst anzuschauen, weil es dabei gar nicht so sehr auf die Kunst, sondern aufs Schauen und Geschautwerden ankommt.

Neben den Zuschauern sind es natürlich drei Bilder der Ausstellung, die den Teich in den verschiedenen Lichtverhältnissen zeigen und die Nymphéas ganz unterschiedlich erscheinen lassen. Ich erzähle dann, dass ich diese Riesenformate Monets auch im Kreditkartenformat hätte haben können: So hätte ich sie immer mit dabei gehabt. Immer ein Teich voll Nymphen.

Wie in einer Bibliothek

Die einen sind auf ihren Tastaturen unterwegs wie Flughunde. Die Bemerkung der Kollegin, sie komme sich in der Bibliothek vor wie im Grossraumbüro vollzieht sich nach, mit der Beifügung, aber eben auch ein bisschen wie im Wald, wo sich die Hunde zu Hause fühlen. Und ein halber Wald ist es ja wirklich, so viel ist noch unelektronisch. Dann erinnert die Nachbarin nebenan allerdings an Lady Gaga, also doch eher eine Disco mit Stöpseln.

Brillenjahr

Es muss ein Vakuum geben, dann ist sie dicht. Wir Menschen sind ja nie ganz dicht. Wir müssen unsere Augen hinter einem Vakuum verstecken, sonst macht Chlor mit ihnen, was es will. Ohne Versteck sind wir ausgeliefert, es rötet sich alles.

Wasserbrille

Im Wasser glauben wir dann, wir würden besser sehen: Die Füsse der anderen, verlorene Schlüssel auf dem Boden und die Tiefe des Wassers. Ohne Brille ist Wasser wie im Tümpel, man sieht nicht, worin man sich bewegt. Statt Seegras wickelt sich Haar um die Finger. Eigentlich sieht man nur anders.

***

Die Kälte rötet auch alles. Oranges Brillenglas färbt Schnee. Zieht man es ab, ist alles blau. Wie Galilei in die Sonne schauen: Blender. Den Himmel anschauen: La vie en rose.