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An den Flüssen

Die beiden Bücher, die ich zuletzt gelesen habe, kreisen beide um Flüsse. Hugo Loetschers War meine Zeit meine Zeit und Ilija Trojanows An den inneren Ufern Indiens.

Bei Hugo Loetscher hat Zeit viel mit dem Charakter ihrer Tätigkeit zu tun: sie fliesst und manchmal zerfliesst sie. Loetscher überspringt Flüsse, um immer wieder an «seine Sihl» zurückzukommen, an dessen einen Ufer er die Kindheit und am anderen Ufer sein Leben verbracht hat. Von vielen anderen Ufern schreibt Loetscher in seinem Buch, das wie ein Rückblick auf ein Leben anmutet, das viel unterwegs war.

Dabei verbinden sich Bilder aus Buchstaben, die aus dem Bereich der Flüsse zehren, aber auch Landschaften einschliessen wie die Alpen oder die Karpaten. Aus den Buchstaben werden nicht nur Bilder: auch klanglich ist das Werk eines, das von Reife zeugt: Nicht aufgeregt im Ton, manchmal fast schon träge, aber immer schön ruhig sind die Anekdoten aus Loetschers Leben erzählt.

Dennoch: eine Reihung von Anekdoten dürfte man das Buch nicht nennen, es ist viel tiefsinniger und weiter schürfend als kleine Anekdoten, die schnell erzählt, aber genauso schnell wieder vergessen sind. Man hat es auch mit höchst philosophischen Fragen zu tun, die damit zusammenhängen, wie wir in die Welt kommen, wenn wir ungefragt daherkommen oder wieder davongehen.

Ilija Trojanows Bericht über eine Reise der indischen Art: Sie führt entlang des Ganges, der liebevoll Ganga genannt wird, wie der Fluss in Indien genannt wird. Auf der Strecke sammeln sich Menschen und deren Geschichten an, die mit Religiösem, Lokalem und Internationalem verknüpft sind. Die Geschichten, die sich am Lauf des Ganges abgespielt haben, erzählt Trojanow hier.

Die Bücher:

  • Hugo Loetscher: War meine Zeit meine Zeit. Diogenes, Zürich 2009.
  • Ilija Trojanow: An den inneren Ufern Indiens: Eine Reise entlang des Ganges. Hanser, München 2003.

Die Stadt am Fluss

Städte an Flüssen sind anders als Städte, die nicht an Flüssen sind. Sie schmiegen sich in den Lauf des Flusses ein, der Alltag in solchen Städten versteht, dass ein Fluss nie derselbe Fluss sein kann. In solchen Städten erfasst man das Phänomen Zeit besser, weil man gleichsam mit dem Wasser die Zeit verrinnen sieht, fast so, wie wenn man dem Zeiger einer Uhr zuschauen würde, wie er beständig weiter will.

An gewissen Tagen sind in den Städten andere Flüsse zu Gast, das Tempo wird von aussen bestimmt: Züge aus allen Ländern, die man kennt, kommen an, jeder in seiner Geschwindigkeit, in seinem Rhythmus. Aus mysteriösen Zügen steigen Menschen, die sich alltäglich mit anderen Flüssen beschäftigen, und sich damit auskennen. Sie geben den Ortsansässigen Gastspiele, helfen dabei, die Moldau tausende von Kilometern weit zu transportieren. Sie helfen der Moldau dahin, wo sie aus eigener Kraft gar nie hingekommen wäre.

Dann kennen die Menschen in der Stadt plötzlich einen neuen Fluss, der den Staub aufwirbelt und Trommelfelle zum vibrieren bringt, lässt sie mit anderen Füssen durch die Stadt gehen und sie darüber nachdenken, was wäre, wenn der Fluss sich nicht so sorgfältig in die Stadt eingebettet hätte. Oder auch darüber, was wäre, wenn die Menschen aus den anderen Ländern einen Fluss mitgebracht hätten, der nicht in die Landschaft passt.

Dabei erinnern sie sich daran, dass an jenem Abend auch die Moldau  Anlaufschwierigkeiten hatten: Bis sich die Flöten und Geigen einig waren, in welcher Taktung sie den Fluss gehen lassen wollten. Dann aber, gelenkt durch die Ortskundigen fand man Wege, die – aus dem Applaus zu schliessen – lieber nie geendet hätten. Irgendwann sind alle Wasser vorüber.

Städte, Länder, Flüsse.