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Zeitungen der Weltordnung

Eine Zeitung klatscht gegen die Fensterscheibe. Oberhalb seines Kopfes surrt irgendein Insekt unbeirrt weiter. Klatsch, klatsch. Der surrende Fliegkörper flieht in ein anderes Abteil. Der Herr gesetzten Alters regt sich lauthals darüber auf, das Mistvieh nicht getroffen zu haben. Man sieht ihm an, dass er es bereut, nicht seinen ultramodernen Fliegenklatscher bei sich gehabt zu haben, der das Minilebewesen grilliert und geniessbar gemacht hätte. Man denke nur an die Proteine!

Beim Aussteigen erklärt er, Ordnung müsse sein. Man könne doch nicht überall Zeitungen herumliegen lassen. Ein Nicken bestätigt seine Aussagen. Wenn man bis zur Rolltreppe den gleichen Weg genommen hätte wie er, hätte er einem seine Weltordnung noch ausführlicher erklären können: Einmal in der Woche wird das Auto fein säuberlich herausgeputzt. Manchmal habe man ja Blätter an den Schuhen, das könne ja passieren. Aber Ordnung sei das Mindeste im Leben. «Sie haben doch bestimmt auch gerne Ordnung, sonst hätten Sie ja nicht die Zeitungen aus dem fremden Abteil weggeworfen?

Heimlich ertappt man sich dabei, wie die Arbeiten der letzten Tage tatsächlich einen gewissen Ordnungswillen zeigen: Zeitungsartikel ausgeschnitten statt einfach ausgerissen, dieselben fein säuberlich klassifiziert nach Titel, Nummer im System, Autor, Medium und Erscheinungsdatum. Die Bücher wieder schön ins Bücherregal eingeräumt: Einerseits alphabetisch, anderseits nach Reclam und Nicht-Reclam sortiert. Die Buchrücken nur schön bis zum Rand des Regals eingereiht.

Dann blickt man in die Zukunft und sieht, wie sich die Bücher langsam zu regen beginnen, ihre Plätze nicht behalten wollen, wo sie ihn haben. Das Inwendige will zum Auswendigen werden, jedes Buch den für sich adäquaten Platz auswählen. Man hört sie schreien: «Auf den Tisch, auf den Tisch!» Bis sie sich wieder türmen, die eigene Last nicht mehr aushalten, zu Boden fallen und dabei ein schwirrendes Insekt klatschend unter sich begraben.

Fragen über Fragen (50)

Überall wird klassifiziert und eingeordnet. Präskriptive Reglemente stellen die Einordner vor komplexe Probleme.
In einer Institution in der grossen Stadt Zürich wird man ganz lustige Sachen gefragt, wenn Entscheidungsschwierigkeiten herrschen.

Zum Beispiel, wenn gleich mehrere Menschen miteinander eintreten: «Sind Sie eine Gruppe?» Wenn man dann mit «Ja» antwortet, wird man darauf aufmerksam gemacht, dass Gruppen sich anmelden müssen und nur mit einem Mitarbeiter in den Raum eintreten darf. Auch eine Umentscheidung, dass man jetzt doch keine Gruppe mehr sei, hilft da nicht weiter. Einmal Gruppe, immer Gruppe.

Damen werden mitunter auch ganz Persönliches gefragt, wenn Klassifikationsschwierigkeiten herrschen: Ist das ein Mantel? – Dann müssen Sie ihn ausziehen. – Nein, das ist kein Mantel. – Ah, gut, dann dürfen Sie das Kleidungsstück auch im Raum drinnen auf sich tragen.