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In den Kanälen

Dann war da noch Strasbourg: Das Gepäck fast in Zürich liegengelassen, von wo aus es nach Genf weitergefahren wäre, vor dem Münster bei eisigem Wind gestanden, die Kanalrundfahrt im Kindermodus gehört. Die bekommen etwas geboten, die Kinder. Drei Zehnercouverts Billette gelöst, wobei doch jedes Billett einzeln aus dem Automat ausgedruckt wurde. Aus dem Tram fast nicht mehr ausgestiegen, weil die mit ihrem Gepäck zu lange hatten und der Türverschluss schon wieder betätigt wurde. In tollen Cafés oder salons de thé gesessen und chocolat chaud getrunken, zugehört wie jemand latte macchiato wollte und dann die französische Version café au lait serviert bekam. Morro als Glücksgriff gekauft und biscuits oder olives au chocolat. Und ja, natürlich: tartes flambées und crêpes!

Papierne Existenz

«Sie können Sich nicht ausweisen? Bitte füllen Sie das Formular aus. Wir telefonieren, dann stellt sich heraus, ob es Sie gibt.» Im nächsten Moment drückt der Kontrolleur seinem Opfer das Blöcklein mit den Möglichkeiten Name, Vorname, Geburtsdatum, Adresse, Telefonnummer und Unterschrift in die Hand. Es gibt keine Vorschläge, wie es sein Formular ausfüllen könnte. Nur eine Einschränkung, ganz am Schluss, mit der es bestätigt, dass die Angaben der Richtigkeit und Wirklichkeit entsprächen.

Am Telefon krächzt der andere das Geburtsdatum in den Zugraum: «Fünfzehnter Siebter Neunzehnachtundachtzig. Normannstanne, Orangenblüte, Tamiflu, Zahnpaste.»

«Sie gibt es wirklich.»

Hürriyet

Der Automat wird bedient in Ankara. Man kommt am Bahnhof an und möchte sein Gepäck einschliessen, die wenigen Leute, die schon da sind, zeigen einem, dass es einen Automaten für die Bagaj gibt. Es ist tatsächlich da, dieses Gerät, doch es nimmt kein Geld an und kein Gepäck.

Das bestellte breakfast beweist, dass türkisches Morgenessen nicht nur in Istanbul aus zu einem Fladen gebackenen Brot, einem Stück Gurke, Oliven und Käse besteht, sondern auch in Ankara, der Stadt, die so sehr an Mustafa Kemal aka Atatürk erinnert.

An diesem Bahnhof ist auch das ursprüngliche, aus politischen Gründen aber vertagte Reiseziel, Tahran, angeschrieben. Der Transasia-Express fährt um 11 Uhr aus Ankara ab. Wir sehen ihn nicht mehr; der den Automaten bedient, hat schon früher seine Geschäftsstunde und gibt den Code in die Maschine ein, mit dem sie unser Gepäck lagert.

Ankara von oben
Ankara von oben

Ohne Stadtplan orientiert man sich auch in Ankara nur schwer, so wie man sich in Florenz schlecht mit einem Plan von Venedig die Kirchen sucht, für die man eigentlich den Zwischenhalt eingelegt hat. Das Atatürk-Mausoleum und eine Festung sind auf den Schildern für Touristen angegeben, aber die Festung auf einem der Hügel ist von Stacheldraht umzäunt, wahrscheinlich auch hier zur falschen Zeit am richtigen Ort. Dafür ist das Bild, das sich einem von diesem Hügel oben bietet, wunderbar: Man erkennt, wie die Stadt in die Hügel hineingebaut ist, sieht unterschiedliche Häuserstile: Wohnblocks und Hütten mit Blechdächern, Einkaufshäuser und Imbissstände, Steinmoscheen im Aufbau und Minarette aus Wellblech. Blech glänzt.

Wellblechdächer in Ankara
Roofs of Ankara

Auf dem Weg zum Atatürk-Mausoleum, den ich nicht so direkt nehme, wie man ihn nehmen könnte, komme ich nahe des Otogars an einem Viertel mit Selbstwerker-Läden vorbei. Ich weiss jetzt, wo ich in Ankara Toilettenschüsseln, Bodenplatten oder Küchen bekommen könnte, wenn ich solche Dinge einmal benötigen sollte. Statt zum Mausoleum komme ich nun aber in ein Ministerium, in dem eine nette Literaturwissenschaftlerin arbeitet, die sich ganz erstaunt über die Reisepläne zeigt und ein Taxi bestellt, das mich zum Mausoleum bringen soll.

Ich stelle mir vor, wie idyllisch dieser Ort wohl sein müsste, wenn die Sonne nicht so unvermittelt herabstrahlen würde. Aber auch so macht einen Vieles staunen: Die Decke, die mit Goldmosaik verziert ist, der polierte Marmor, auf dem Boden ebenso glänzig wie an den Wänden, und die Angehörigen der türkischen Armee, die in anachronistischer Verkleidung das Nationalheiligtum beschützen.

Das Museum zeigt Panoptika von Schlachten, in denen tapfere Türken die Vorarbeit für die heutige Türkei geleistet haben, den persönlichen Wagenpark Atatürks, die Privatbibliothek des Reformers und es zeigt nicht zuletzt Osmanen, die zu Türken werden: Sie bekommen ein neues Alphabet, die Sprache wird vereinheitlicht, türkische Mythen werden gesammelt und die Grenzen zum Ausland klar gezogen.

Der Bediener des Automaten ist gerade beim Einkauf, da wir am Bahnhof unsere Rücksäcke abholen wollen, die Toiletten-Aufsicht meint, er komme bald zurück. Die türkische Errungenschaft des Tages ist Hürriyet, ganz nach dem Vorbild der französischen Liberté.

Die Stadt am Fluss

Städte an Flüssen sind anders als Städte, die nicht an Flüssen sind. Sie schmiegen sich in den Lauf des Flusses ein, der Alltag in solchen Städten versteht, dass ein Fluss nie derselbe Fluss sein kann. In solchen Städten erfasst man das Phänomen Zeit besser, weil man gleichsam mit dem Wasser die Zeit verrinnen sieht, fast so, wie wenn man dem Zeiger einer Uhr zuschauen würde, wie er beständig weiter will.

An gewissen Tagen sind in den Städten andere Flüsse zu Gast, das Tempo wird von aussen bestimmt: Züge aus allen Ländern, die man kennt, kommen an, jeder in seiner Geschwindigkeit, in seinem Rhythmus. Aus mysteriösen Zügen steigen Menschen, die sich alltäglich mit anderen Flüssen beschäftigen, und sich damit auskennen. Sie geben den Ortsansässigen Gastspiele, helfen dabei, die Moldau tausende von Kilometern weit zu transportieren. Sie helfen der Moldau dahin, wo sie aus eigener Kraft gar nie hingekommen wäre.

Dann kennen die Menschen in der Stadt plötzlich einen neuen Fluss, der den Staub aufwirbelt und Trommelfelle zum vibrieren bringt, lässt sie mit anderen Füssen durch die Stadt gehen und sie darüber nachdenken, was wäre, wenn der Fluss sich nicht so sorgfältig in die Stadt eingebettet hätte. Oder auch darüber, was wäre, wenn die Menschen aus den anderen Ländern einen Fluss mitgebracht hätten, der nicht in die Landschaft passt.

Dabei erinnern sie sich daran, dass an jenem Abend auch die Moldau  Anlaufschwierigkeiten hatten: Bis sich die Flöten und Geigen einig waren, in welcher Taktung sie den Fluss gehen lassen wollten. Dann aber, gelenkt durch die Ortskundigen fand man Wege, die – aus dem Applaus zu schliessen – lieber nie geendet hätten. Irgendwann sind alle Wasser vorüber.

Städte, Länder, Flüsse.

Waiting for Visa

Was gibt es Schöneres als Ferien zu planen? Reiseführer durchblättern, Orte auf Landkarten heraussuchen, Telefone machen und bei Bekannten, die schon im Nahen Osten waren, um Tipps fragen. Kurz nach der Abstimmung zu den neuen Pässen mit biometrischen Daten habe ich mir noch einen alten zugelegt; es wäre ja schade, den biometrischen Pass zu schreddern, wegen des Stempels, auf den ich warte.

Während des Wartens kann man ganz schön Zeitung lesen, die Wahlen verfolgen und hoffen, dass der Richtige fürs Land gewinnen wird. Man kann sich weiterhin Luftschlösser bauen oder schon einmal Zugfahrkarten bis nach Wien besorgen, wo man dann weiter nach Budapest, Belgrad und Istanbul weiterziehen möchte, um dem Ziel, Teheran, näher zu kommen. Zug um Zug.

In der Zwischenzeit muss man sich aber noch ein wenig in Geduld üben, wozu man aber kaum Zeit findet, weil noch Klausuren vorbereitet, Arbeiten an- und fertiggedacht werden wollen. Schon wieder ein Semester vorbei, schneller noch als die anderen, obwohl es zuerst gar nicht richtig starten wollte.