Im Namen der Ehre (87)

Eigentlich müsste man meinen, dass das Konzept der «Ehre» in einer zivilisierten Gesellschaft keine Rolle mehr spielen sollte. Aber wer meint denn schon? Institutionen im Rechtsstaat übernehmen diejenigen Aufgaben, Lösungen zwischen Konfliktparteien zu suchen, die zuvor in selbstgerechten Auseinandersetzungen ausgetragen wurden. Aber wie war das nochmals mit der Gleichzeitigkeit von Ungleichzeitigem?

Die Bedingung dafür (für die Abschaffung der Ehre) – das versteht sich von selbst – sind allerdings gut funktionierende Institutionen, die in Streitfällen vermitteln können und in einem besonders prekären Fall sogar die Hoheit dazu haben, Urteile zu sprechen, die von einer Kontrollinstanz überwacht werden. Eine Ordnung von Institutionen, die über sich selbst wachen und die Prinzipien von Rufmord oder Ehrenduellen für eine selbstgerechte Lösung idealerweise nicht kennen. Die Ehre wird aus dem Konzept gestrichen, was zählt sind Rechte und Pflichten, die ein jeder wahrnehmen kann, darf und muss.

Zumindest aus dem Bereich der Literatur kennen wir Beispiele genug. Nehmen wir doch gerade die Marquise von O… von Heinrich von Kleist. Eine verwitwete Marquise, die zu ihren Eltern zurückkehrt und da – wegen einem Krieg von den feindlichen Soldaten vergewaltigt wird, von einem edlen Grafen gerettet wird und weiterhin bei den Eltern lebt, bis sich eines Tages herausstellt, dass sie schwanger ist. Die Ehre der Tochter ist dahin, weil sie ein uneheliches Kind bekommen soll und wird von der Familie verstossen, um die Ehre der Familie nicht zu belasten.

Leider gehören solche Ehrverletzungen immer noch nicht der Vergangenheit an. Amerikanische Truppen sorgen mit Herzblut dafür, dass nicht nur deren Doxa verbreitet wird, sondern auch amerikanisches Blut in den Adern der nächsten Generation des gegnerischen Staates fliesst.

So war dies der Fall im Vietnamkrieg, wie man in einer amerikanischen Weltgeschichte der Vergewaltigung in der Zeit 1976 lesen konnte. (Heute kann man dank geöffneter Archive dieses Dokument auch wieder lesen.)

Dagegen bestätigt ein Veteran des Vietnamkrieges, was Beobachtern aus aller Welt seit langem klar war: „Vergewaltigung war ,pretty SOP'“ — zu deutsch: war so ziemlich an der Tagesordnung. Tausende, wahrscheinlich Hunderttausende vietnamesischer Frauen wurden während des schmutzigen Krieges vergewaltigt.

(Quelle: Die Zeit, 1976)

Wohl auch, um die Ehrenhaftigkeit der amerikanischen Soldaten hochzuheben und untereinander zu batteln, wer denn der ehrenhaftere Newcomer unter den GIs sei.

Wenn ihr schon daran seid, das Internet aufzuräumen, sollte man bei der Ehre anfangen und nicht bei irgendwelchen Fotos. Deshalb mein Aufruf: Bleibt fern von solchem Blogbattle-Zeugs, die Ehre gehört abgeschafft, liebe Blognewcomer. Lanu wollte uns alle aus dem Paradies verführen, das wir vor Mittwoch noch haben können.

In diesem Sinne: Ich steige nicht in den Ring, schon gar nicht im Jahr der Eh(U)RO.

2 Gedanken zu „Im Namen der Ehre (87)

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