Heute mit Hilde Domin im Kopf in die Stadtbibliothek gegangen, das war noch da aus einem Gespräch mit einer Schülerin. Ein paar Bücher holen, wie man das immer tut, aber mit offeneren Augen: Darum entdecke ich, dass dort in der Handschriftenabteilung ein Ausschnitt aus dem Gästebuch der Literarischen ausgestellt ist. Sie war im Jahr 1975 zu einer Lesung in der Literarischen und bedankt sich im Gästebuch für den schönen Abend. Das sind so schöne Erlebnisse im Leben eines Büchermenschen.
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Bibliothekstypen
In letzter Zeit bin ich oft in Bibliotheken. Die Angestellten haben alle ihre eigenen Eigenschaften: Sie hören in Magazin unter dem Boden Musik, wundern sich über Besucher, die ihre Jacke übergezogen behalten, bedanken sich für Meldungen, wundern sich über die Ignoranz ihrer Besucher. Und sie sind vor allem resistent gegen den Geruch der Bücher. Mit einem gewissen Alter entwickeln die Bücher nämlich ein Eigenleben. Das lässt einen die Finger jucken, sodass man die Texte ganz schnell einscannt, den Papierstaub vom Glas wischt und die Bücher zurückbringt.
Wenn ich in einer Bibliothek arbeiten würde, würde ich mit Listen auseinandersetzen. Ich würde mir anschauen, welche Bücher jemand ausgeliehen hat. Ich würde mir die Kombinationen von Büchern anschauen. Hinter jeder Liste ein Mensch. Ganz diskret würde ich dann wissen, dass jemand sich intensiv mit Metaphern auseinandersetzt. Aus den Listen würden Figuren entstehen, die ich mir ausserhalb der Bibliothek vorstellen würde, wie sie ihre Büchersäcke nach Hause oder in ihr Büro schleppen. Wie sie sich über die Bücher beugen oder ob sie sie in eine Ecke stellen, um sie ungelesen wieder zurückzubringen.
Sähe ich jemanden wieder, würde ich mich freuen: Das ist der Metaphernjunkie, das die Barockmystikerin, der Filmexperte, die Psychoanalytikerin, der Bachtinleser, die Theologin, der Eichendorffliebhaber, der Bernhardkenner, die Gärtnerin, der Paradiesler, der Realist, die Lexikografin, die Handschriftenfanatikerin, die Naturwissenschaftlerin, der Ökonom. Sie wären da und gleich wieder weg, mit diesem Strahlen auf dem Gesicht, wenn sie etwas gefunden haben. Und mit der frustrierten Haltung, wenn sie Bücher schleppen und wieder zurückbringen.
Linkeria #35: Sammlungen (Woche 27, 2010)
- Bookshelf Porn: Die Welt in Büchergestellen. «Dear people who read Bookshelf Porn, I am sure you are all smart, super good-looking, talented, funny and you probably smell nice too.» [via swissmiss]
- meus: moments. pictures. attempts
- Heimweh – Der Quelltext ist meine Oberfläche: ben_ denkt seine Überlegungen weg vom CMS hin zur eigenen Ordnung mit richtigen selbstgestrickten HTML-Dateien weiter. Wichtige Gedanken zur Nachhaltigkeit von Daten.
Jeden Samstag 3 Links und Kürzestzusammenfassungen zu interessanten, visionären, relevanten und lesenswerten Texten aus dem Web. Anregungen werden gerne per Mail entgegengenommen: linkeria [affenschwanz] textworker [punkt] ch
Das Web bauen
Sie nehmen die Architekturmetapher beim Wort: Morville und Rosenfeld zeigen in ihrem Standardwerk Information Architecture for the World Wide Web die Arbeit des Informationsarchitekten und schaffen damit eine Rechtfertigungsgrundlage für den digitalen Bibliothekar.
Der Informationsarchitekt wird vorgestellt als einer, der Dächer für Informationen deckt. Jedes Haus wird für einen bestimmten Zweck gebaut und muss umgebaut werden, wenn sich die Anforderungen ändern. Analog soll es mit den Strukturen geschehen, mit denen Informationen organisiert werden.
Dass es Informationsarchitekten braucht, wird von der Informationsseite her ziemlich schnell klar. Aber auch auf der Seite der finanziellen Interessegruppen wird mit Return on Investment-Studien gezeigt, dass sich Investitionen in Informationsarchitektur lohnen. Dabei gilt es zwei Aspekte zu beachten: Kunden finden sich auf einer Seite mit guter Informationsarchitektur schneller zurecht und finden eher die Dinge, wofür sie bereit sind, Geld auszugeben. Auf der anderen Seite lässt sich mit Informationsarchitektur viel Geld sparen: Mitarbeiter finden ihre Dokumente im Intranet schneller, wenn sie gut organisiert sind.
Diese beiden Argumente zeigen dann auch die Orientierung der Informationsarchitekten: Informationen sollen gefunden werden und zwar so, dass die Benutzer der Systeme nicht zuerst komplizierte Suchalgorithmen verstehen müssen. An Beispielen wird gezeigt, wie Informationen nutzergerecht aufbereitet werden können: Viele Webseiten kennen einen Aufbau nach Nutzergruppen. Universitäten beispielsweise haben oft eine Seite für Studieninteressierte, für Studierende oder Dozierende. Seiten von Computerherstellern dagegen enthalten oftmals Unterteilungen in Privatkunden, kleine Unternehmen und Grossunternehmen. Die Informationen werden nach diesen Nutzergruppen angeordnet, damit der Interessierte möglichst schnell zu den gewünschten Informationen kommt.
Es geht in der Informationsarchitektur also vor allem darum, sinnvolle Strukturen für Webseiten zu bauen und dabei mit einer Kombination von Organisation, Labeling, Suchfunktionen und Navigationssystemen Information so zugänglich zu machen, dass die Nutzer von Webseiten möglichst schnell zu den Informationen kommen, die sie suchen. Wichtig ist es auch, den Kontext zu beachten: Man kann Informationsarchitekturen nicht in den luftleeren Raum hinaus bauen. Aus diesem Grund gilt es auch Unternehmensprozesse und Nutzerkreise zu kennen.
Informationsarchitekten nach dem Verständnis von Morville und Rosenfeld sind weder Programmierer noch Designer, sondern kommen von der Information her. Semantik ist daher eines der Zentren, um die sich die Informationsarchitektur dreht. Daher sind Metadaten, Vokabulare, Thesauri, Kategorisierungen, semantische Beziehungen dem Informationsarchitekten besonders wichtig.
Das Buch stellt verschiedene Arbeitsfelder vor: Informationsarchitekten visualisieren Datenstrukturen, entwickeln Vokabularien zur Beschreibung von Informationen, entwerfen Strategien zur Integration von Content in die bestehende Informationsarchitekturen, entwickeln Informationsstrategien und gehen empirisch vor. Sie arbeiten vor allem mit Webseiten und Intranets. Morville und Rosenfeld zeigen auch Werkzeuge, mit denen Informationsarchitekten Thesauri erstellen, wie Vokabulare gemanagt werden und was es zu beachten gibt, wenn Informationsarchitekturen implementiert werden. So werden verschiedene Verfahren zum Ermitteln von Vokabularen zum Labeln von Inhalten vorgestellt. Ein Beispiel ist Play Cards: Es geht darum, mit verschiedenen Benutzern Karten zu spielen, die als Labels dienen. Im Spiel wird ermittelt und dokumentiert, wie verschiedene Nutzer Informationen unterschiedlich mit Labels versehen. Auf diese Weise wird empirisch ein Vokabular erstellt, das die Nutzer einbezieht, die im Alltag mit dem Labelsystem zu tun haben werden.
Gerade die Nutzung im Alltag stellt den Informationsarchitekten vor Schwierigkeiten, weil eine Informationsarchitektur nicht etwas ist, was einmal eingesetzt wird und dann auf ewig läuft: Kommen neue Informationen hinzu, müssen diese nach den Vorgaben ins bestehende System eingearbeitet werden. Für die täglichen Aufgaben müssen Verantwortliche eingesetzt werden, die das System am Laufen halten und die Vokabulare konsequent auf Informationen vergeben und so die Webseiten oder das Intranet auf dem aktuellen Stand halten.
Morville und Rosenfeld zeichnen in ihrem Buch das Bild eines Informationsarchitekten, der den Plan für ein Informationshaus erstellt und gleichzeitig Strategien entwickelt, mit denen das Haus auf einfache Weise erweitert werden kann. Dabei wird viel Gewicht auf die Metapher des Architekten gelegt, der hauptsächlich konzeptuell arbeitet und weder selbst das Design für eine Website erstellt, noch programmiert.
Morville, Peter/Rosenfeld, Louis: Information Architecture for the World Wide Web. 3. Auflage, O’Reilly: 2006.
Wie in einer Bibliothek
Die einen sind auf ihren Tastaturen unterwegs wie Flughunde. Die Bemerkung der Kollegin, sie komme sich in der Bibliothek vor wie im Grossraumbüro vollzieht sich nach, mit der Beifügung, aber eben auch ein bisschen wie im Wald, wo sich die Hunde zu Hause fühlen. Und ein halber Wald ist es ja wirklich, so viel ist noch unelektronisch. Dann erinnert die Nachbarin nebenan allerdings an Lady Gaga, also doch eher eine Disco mit Stöpseln.