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Das Web bauen

Sie nehmen die Architekturmetapher beim Wort: Morville und Rosenfeld zeigen in ihrem Standardwerk Information Architecture for the World Wide Web die Arbeit des Informationsarchitekten und schaffen damit eine Rechtfertigungsgrundlage für den digitalen Bibliothekar.

Der Informationsarchitekt wird vorgestellt als einer, der Dächer für Informationen deckt. Jedes Haus wird für einen bestimmten Zweck gebaut und muss umgebaut werden, wenn sich die Anforderungen ändern. Analog soll es mit den Strukturen geschehen, mit denen Informationen organisiert werden.

Dass es Informationsarchitekten braucht, wird von der Informationsseite her ziemlich schnell klar. Aber auch auf der Seite der finanziellen Interessegruppen wird mit Return on Investment-Studien gezeigt, dass sich Investitionen in Informationsarchitektur lohnen. Dabei gilt es zwei Aspekte zu beachten: Kunden finden sich auf einer Seite mit guter Informationsarchitektur schneller zurecht und finden eher die Dinge, wofür sie bereit sind, Geld auszugeben. Auf der anderen Seite lässt sich mit Informationsarchitektur viel Geld sparen: Mitarbeiter finden ihre Dokumente im Intranet schneller, wenn sie gut organisiert sind.

Diese beiden Argumente zeigen dann auch die Orientierung der Informationsarchitekten: Informationen sollen gefunden werden und zwar so, dass die Benutzer der Systeme nicht zuerst komplizierte Suchalgorithmen verstehen müssen. An Beispielen wird gezeigt, wie Informationen nutzergerecht aufbereitet werden können: Viele Webseiten kennen einen Aufbau nach Nutzergruppen. Universitäten beispielsweise haben oft eine Seite für Studieninteressierte, für Studierende oder Dozierende. Seiten von Computerherstellern dagegen enthalten oftmals Unterteilungen in Privatkunden, kleine Unternehmen und Grossunternehmen. Die Informationen werden nach diesen Nutzergruppen angeordnet, damit der Interessierte möglichst schnell zu den gewünschten Informationen kommt.

Es geht in der Informationsarchitektur also vor allem darum, sinnvolle Strukturen für Webseiten zu bauen und dabei mit einer Kombination von Organisation, Labeling, Suchfunktionen und Navigationssystemen Information so zugänglich zu machen, dass die Nutzer von Webseiten möglichst schnell zu den Informationen kommen, die sie suchen. Wichtig ist es auch, den Kontext zu beachten: Man kann Informationsarchitekturen nicht in den luftleeren Raum hinaus bauen. Aus diesem Grund gilt es auch Unternehmensprozesse und Nutzerkreise zu kennen.

Informationsarchitekten nach dem Verständnis von Morville und Rosenfeld sind weder Programmierer noch Designer, sondern kommen von der Information her. Semantik ist daher eines der Zentren, um die sich die Informationsarchitektur dreht. Daher sind Metadaten, Vokabulare, Thesauri, Kategorisierungen, semantische Beziehungen dem Informationsarchitekten besonders wichtig.

Das Buch stellt verschiedene Arbeitsfelder vor: Informationsarchitekten visualisieren Datenstrukturen, entwickeln Vokabularien zur Beschreibung von Informationen, entwerfen Strategien zur Integration von Content in die bestehende Informationsarchitekturen, entwickeln Informationsstrategien und gehen empirisch vor. Sie arbeiten vor allem mit Webseiten und Intranets. Morville und Rosenfeld zeigen auch Werkzeuge, mit denen Informationsarchitekten Thesauri erstellen, wie Vokabulare gemanagt werden und was es zu beachten gibt, wenn Informationsarchitekturen implementiert werden. So werden verschiedene Verfahren zum Ermitteln von Vokabularen zum Labeln von Inhalten vorgestellt. Ein Beispiel ist Play Cards: Es geht darum, mit verschiedenen Benutzern Karten zu spielen, die als Labels dienen. Im Spiel wird ermittelt und dokumentiert, wie verschiedene Nutzer Informationen unterschiedlich mit Labels versehen. Auf diese Weise wird empirisch ein Vokabular erstellt, das die Nutzer einbezieht, die im Alltag mit dem Labelsystem zu tun haben werden.

Gerade die Nutzung im Alltag stellt den Informationsarchitekten vor Schwierigkeiten, weil eine Informationsarchitektur nicht etwas ist, was einmal eingesetzt wird und dann auf ewig läuft: Kommen neue Informationen hinzu, müssen diese nach den Vorgaben ins bestehende System eingearbeitet werden. Für die täglichen Aufgaben müssen Verantwortliche eingesetzt werden, die das System am Laufen halten und die Vokabulare konsequent auf Informationen vergeben und so die Webseiten oder das Intranet auf dem aktuellen Stand halten.

Morville und Rosenfeld zeichnen in ihrem Buch das Bild eines Informationsarchitekten, der den Plan für ein Informationshaus erstellt und gleichzeitig Strategien entwickelt, mit denen das Haus auf einfache Weise erweitert werden kann. Dabei wird viel Gewicht auf die Metapher des Architekten gelegt, der hauptsächlich konzeptuell arbeitet und weder selbst das Design für eine Website erstellt, noch programmiert.

Morville, Peter/Rosenfeld, Louis: Information Architecture for the World Wide Web. 3. Auflage, O’Reilly: 2006.

Der Karteikasten im digitalen Zeitalter

Wer sich gelegentlich Zitate aus Gelesenem notiert und die Notizen gerne weiterverwenden möchte, stösst analog schnell an seine Grenzen. Gedanken zu Zettelkästen und digitalen Zettelkästen weitergedacht.

Elektronische Weichware statt brüchiges Papier

Wenn man sich doch gleich von Anfang an für eine Software begeistern und entscheiden könnte, hätte man am Schluss nicht die doppelte Arbeit. Zuerst hatte ich ja gedacht, dass ich Zitate beim Lesen auf physischen Zetteln sammeln würde. Da habe ich ja auch noch ein Plädoyer für das gute alte Papier geschrieben. Zurückziehen soll man solche Plädoyers nicht, denn sie haben immer noch einen Punkt, der nicht vernachlässigt werden will: Das Suchen und zufällige Finden eines Zettels, den man gar nicht gesucht hätte, indem man blättert, geht mit der elektronischen Verschlagwortung verloren. Ein Nachteil, den man wohl verschmerzen mag, wenn man die Vorteile eines elektronischen Zettelkastens sieht.

Digitaler Datensalat

Ein grosses Problem hat ein analoger, also papierner Zettelkasten, schnell einmal mit digitalen Daten, die sich auf unseren Festplatten in immer grösseren Mengen anhäufen: Hier ein Schnipsel eines Musikstücks als mp3, da ein Bild, das man elektronisch gefunden hat, dort ein Digitalisat eines Films, den man auf Youtube heruntergeladen hat, sprich ein Haufen an verschiedenen Formaten, die alle an einen Ort gepresst werden wollen. Bilder könnte man ja immerhin noch ausdrucken, solange sie Schwarz-Weiss sind, kein Problem in meinem Fall; sobald es aber farbige Bilder sind heisst es zum nächsten Copyshop rennen, denn der Laserdrucker vermag es nicht, farbige Bilder aus sich heraus zu zaubern.

Multimedial organisiert

Über Musikstücke soll man den händisch angelegten Zettelkasten gar nicht ausfragen, was soll der mit einem mp3-File anfangen? Der geübte Musikus könnte sich Akkordreihenfolgen notieren oder gar ganze Partituren vom gehörten Material anfertigen, aber wie denn solche Informationen in einen Index einarbeiten? Mit viel Phantasie würde man sich ein Ordnungssystem aneignen, das einem im nächsten Moment wie eine Unordnung vorkommt: Die Akkorde sind irgendwo aufgeschrieben, die Partituren irgendwo gelagert, bloss wo?

Litlink unter die Haube geschaut.

Screenshot: Litlink organisiert die Buchdaten, Exzerpte und Kommentare.

Elektronisch: Karteikasten für den kleinen Ordnungshelden

Und da sind wir denn auch schon beim springenden Punkt, der den Karteikasten aus dem Rennen ausscheiden lässt: der Index will fein-säuberlich nachgeführt sein, Stichworte kontrolliert und die Karten an der richtigen Stelle im System eingeordnet sein. Wer dabei nicht der grosse Ordnungsheld ist, hat das Spiel schnell verloren, wenn er denn eine einigermassen grosse Zahl an Zitaten beisammen hat. Dies natürlich auf Zetteln, die alle gleich aussehen, sich nur durch die Dinge unterscheiden lassen, die ins Papier eingeprägt sind. Kommt da mal etwas ein bisschen durcheinander, vertauscht beispielsweise Zettel 35/5a seinen Platz mit Zettel 27/3c und kommt ein Windstoss, der Zufallsgenerator spielt, so ist die ganze Arbeit schnell verloren oder ein grosser Stapel Arbeit wartet darauf, vollbracht zu werden: Eine Woche lang würde dann auf der Pendenzenliste stehen, dass der Karteikasten eine Sortierung benötige.

Automatische Sortierung und Bibliografie-Stile nach Strickmuster

Diese Sortierung übernimmt Litlink automatisch. Man braucht lediglich Schlagwörter anzugeben, kann Notizen und Zitate den Buch- und Personeneinträgen zuordnen, wobei diese miteinander verlinkt werden. Sucht man nun nach einem bestimmten Schlagwort, kann man immer noch auf zufällige Dinge stossen, recherchiert man gründlich in der Kartei, kann man sogar Gedanken finden, von denen man gar nicht mehr weiss, dass man sie je einmal gehabt hatte. Und der grösste Vorteil: Es lassen sich verschiedene Bibliografie-Stile einrichten, mit denen man die Ausgabe von Bibliografien automatisieren kann und je nach Anforderung anpassen kann, ohne mühsam jeden Eintrag manuell abzuändern.

Der steinige Weg zur digitalen Sammlung

Bis man allerdings alles in seiner digitalen Form hat, vergeht eine gewisse Zeit. Die Monografien, Sammelbände und Aufsätze wollen zuerst aus irgendeinem Bibliothekskatalog importiert und mit den eigenen Bemerkungen annotiert sein, dann erst hilft einem die Datenbank etwas. Funktioniert einmal alles, soll man von einer tollen Gedächtnisstütze profitieren können. Ganz nach dem Luhmannschen Zettelkasten, mit dem man sogar kommunizieren könne.

Literaturhinweise und Download-Links:

[1] Alte Gedanken zu Zettelkästen: 19.8.2007: Zettelkasten oder Tags?; 1.5.2008: Lieber Zettelkasten statt Tags.
[2] Lit-Link: Zettelkasten-System, das auf einer Filemaker-Datenbank basiert. Wird an der Universität Zürich entwickelt und stetig verbessert.
[3] Luhmann, Niklas (1992): Kommunikation mit Zettelkästen. Ein Erfahrungsbericht. In: Derselbe: Universität als Milieu, Bielefeld: Haux, 53–61.

Lieber Zettelkasten statt Tags

Am 14.7.2008 erschienen neue Gedanken zum Thema Zettelkasten: Der Karteikasten im digitalen Zeitalter.

Die einfachste Art, sich eine Gedächtnisstütze aufzubauen ist wohl diejenige mit dem guten alten Zettelkasten. So antiquiert einem das vorkommen mag, er hat gegenüber den Computerverwaltungssysteme einen vortrefflichen Vorteil: Die Zettel können so beschriftet werden wie man will.

Mit den Wundermitteln der modernen Computertechnik, Datenbanken und was auch immer man da noch kennt, hat man nämlich einen entscheidenden Nachteil: Die Verwaltungsprogramme lassen sich ohne Programmierkenntnisse meist nicht auf den eigenen Bedarf anpassen. Und wer kann schon von sich behaupten, dass er, bloss weil er Informationen zu verwalten hat, noch eine Programmiersprache lernen möchte oder sich gar mit den kompliziertesten Datenbankanwendung auseinandersetzen möchte?

Sich ein Archiv herzustellen mit den wichtigsten Sachen, die man ständig braucht oder die man in der Zukunft vielleicht einmal brauchen kann, geht mit den guten alten Papierzetteln noch einfacher als mit den unzähligen Datenbanksystemen, die auf dem Markt vorhanden sind. Ein grosser Teil der Programme ist gratis oder gar als OpenSource erhältlich und haben einen Vorteil: Braucht man sie für ein Zitat – und das braucht man ja meist elektronisch – kann per Copy Paste der Text eingefügt werden und gleich noch die Literaturangaben beigefügt werden.

Macht man das mit einem handschriftlichen Zettelarchiv, braucht dies ein bisschen mehr Zeit. Erstens braucht man händisch einen Index zu erstellen, in dem man sich Begriffe notiert, mit denen man ein Zitat irgendwann einmal in Verbindung bringen könnte. Zettel müssen konsequent in diesen Index eingetragen, sonst kann man das Exzerpieren gleich lassen, denn Zettel in einem Archiv, die nicht im Index enthalten sind, verlieren ihren Wert. Höchstens durch einen guten Zufall kommt man wieder zur Information, die man eigentlich gesucht hatte.

Die Karteisammlung, die mit dem Papiersystem immer wieder nach dem richtigen Eintrag abgesucht werden muss, hat nämlich – trotz der Langsamkeit dieses Vorgehens – einen Vorteil, den man nicht mehr missen will, sobald die Sammlung eine gewisse Grösse erreicht hat: Beim gemütlichen Suchen der Karte, auf der das erhoffte Zitat steckt, trifft man andere Karten an, die einen auf andere Gedanken führen können und die Recherche in einen breiten Rahmen einbetten.

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Auf diese Weise wird auch der Weg der Suche wichtig, und es ist so, wie wenn man in einer Bibliothek über die Buchrücken streift, um das gesuchte Buch zu finden: Manchmal sieht man gleich noch einen weiteren spannenden Band, den man nach Hause mitnimmt, um gemütlich darin zu schmöckern, der dann die treffende Idee bringt. Wenn man nur den richtigen Titel gefunden hätte, wäre einem das Wesentliche nicht über den Weg gelaufen: Das nämlich, was auf den ersten Blick falsch geschienen hatte, dessen Wert man nicht von Anfang an einschätzen konnte.

Wer sich im Computer eine Datenbank anlegt, hat diese Effekt des Durchblätterns nicht mehr. Ein Effekt, der in den Gehirnrinden Verbindungen herstellt, die vielleicht nur durch das haptische Erlebnis ermöglicht wurde.