Schlagwort-Archive: Linguistik

Fremdhören

Interessant, dass man von der Sprache der Grossmutter dann doch mehr versteht, als man zunächst gedacht hätte. Dass sich da ein ästhetisches Ideal herausbildet mit Gewöhnung an das Lauten einer Sprache. Die einen im Land klingen, als ob sie eine Rachenkrankheit hätten, und zwar in einer ganzen Region. Wie wenn die die ganze Zeit Zahnwasser gurgeln würden. Da wundert man sich, dass dies selbst die Leute sagen, die diese Sprache in einer anderen Variante sprechen.

Und wenn man dann auch nicht viel versteht, so ist es doch schön, sich darüber zu wundern, solche Feinheiten mitzuhören. Da bedankt man sich für ein linguistisch ausgebildetes Gehör.

Aurlandfjord, Norway

Linguistik tötet

«Endlich lerne ich, wie man isst, ohne zu kleckern», dachte ich, als ich neulich im Bus neben zwei jungen Türkinnen sass. Die eine mit Kopftuch, die andere mit Kebab in der Hand. Wir haben es während der Kantizeit Mittag für Mittag geübt, dieses in Fladenbrot gerollte Fleisch mit köstlicher Sauce und «mit wenig Scharf» zu essen. Die Aufgabe der Zwiebelringe ist es, aus dem Kebab herauszufallen, diejenige der Sauce, die Hosenbeine zu schmücken.

Mehrere Stationen schaute ich zu, wie die Frau mit Kebab ihre Hände geschickt um den Kebab legte, um so Zwiebeln und Sauce zu bändigen. Sie beherrschte das Fleisch mit allen feinmotorischen Tricks. Finger um Finger isst sie sich dem Kebab entlang. Nur kleine  schmierige Reste lässt sie der Alufolie übrig.

Da beginnen sie zu schwatzen. Man horcht auf, versteht immer wieder Versatzstücke. Code-Switching denkt der linguistische Hirnbereich, schon gehört im Zusammenhang mit italienischen Migranten. Es wird immer gerade die Sprache verwendet, in der sich etwas am besten ausdrücken lässt. «Jupe» sagen sie auf Schweizerdeutsch, um dann auf Türkisch weiterzufahren.

Der Beobachter mischt sich ins Gespräch ein: «Macht ihr das bewusst, dass ihr die Sprache wechselt?» – «Weisst du, wenn du beide Sprachen gut kannst, passiert das automatisch.» Die Frau nebenan, die das Gespräch auch belauscht hat, lacht mit ihren Lippen. Schweigen.

Linguistik tötet Gespräche. Und beim Ausziehen war Sauce auf dem Schuh.

Semiotik: Weg aus dem Schilderwald

Noch zu Ostern verstand ich es eher als Witz, als ich sagte, dass sich in Italien innovative Semiotik entwickeln kann, weil niemand im Wald der Verkehrsschilder den richtigen Weg findet.

So sucht man den richtigen Eingang zum Bahnhof Termini, wenn man von der Seite von McDonald’s herkommt nur, wenn man zuerst durch einen Beauty-Laden hindurchgeht. Dies aber nicht unbedingt auf Anhieb, schliesslich will man den richtigen Weg nur dem eingeweihten offenbaren.

Chaos auf den Strassen Roms (und Fussgänger, die vor den Vatikanischen Museen in der Reihe stehen)
Chaos auf den Strassen Roms (und Fussgänger, die vor den Vatikanischen Museen in der Reihe stehen)

Mit etwas mehr Ernst sehe ich diese Sache nun, da ich das Einleitungskapitel zu Umberto Ecos «Eine Semiotik und Philosophie der Sprache» lese. Zwar musste ich auf den ersten Blick laut loslachen, aber die Erkenntnis beruhigt gleichzeitig wie sie beunruhigt: Auch Geisteswissenschaften können einen direkten Nutzen für den Endverbraucher haben.

Wo die Naturwissenschaften nicht nur rein technologische Zwecke, sondern auch manipulative Interessen haben: «Ebenso [wie die Kenntnis der Anatomie die körperliche Leistungsfähigkeit verbessern kann, (Anm. C.N.)] kann die Beschreibung der inneren Logik der Verkehrszeichen einer öffentlichen Behörde Hinweise dafür geben, wie sie die Praxis der Straßenbeschilderung verbessern kann.» (S. 18)

Eines aber kann doch beruhigen: Eine solche Verbesserung der Umstände entsteht nicht als automatisches Nebenprodukt der wissenschaftlichen Forschung, sondern aus freier Entscheidung wie gleich darauf im Buch verhandelt wird.

Bibliografische Angaben: Eco, Umberto: Semiotik und Philosophie der Sprache, Fink, 1985 (= Supplemente 4).

#14: Abastende LinguistInnen (103)

Eine Unfähigkeit zu geben – die sogenannte Abasie – ist für viele unvorstellbar. Wie soll man denn nicht geben können? Und vor allem – wenn wir es schon mit einem medizinischen Terminus zu tun haben – wie ist das medizinisch erklärbar? Man kann im Wörterbuch lesen solange man will, die Erklärung steht nicht da. Da haben sich die LinguistInnen nicht genügend abgeastet, denn das wäre für den Leser oder die Leserin von grossem Interesse.
Wer Bäume fällt, muss sie auch abästen. Ein leidiges Unterfangen, aber heute mit den modernen Maschinen und der Technik keine Sache mehr. Wir haben die Maschine schon erleben dürfen, nachdem der Lothar am Stephanstag unzählige Bäume in der Region der Mörsburg entwurzelt hat. Ein riesiges Gefährt mit Teleskoparm packte die Baumstämme, ästete sie ab, schälte die Rinde weg und zersägte die riesigen Stämme in Einzelteile. Wie beim Rüsten in der Küche, einfach nicht en miniature.

#12: Änderung zum Abandonnieren (102)

Wer braucht heute schon einen Abänderungsantrag? Alles geschieht in Eigenregie, so wie in diesem Blog, ausser wenn sich Kommentatoren hinzugesellen, die hin und wieder einen Abänderungsvorschlag einwerfen und mitgestalten wollen.

Weiss jemand etwas zum Abandon? Oder hat jemand eine gute Idee, was man abandonnieren könnte? Ach klar, wir haben soeben etwas abandonniert, denn wir sind von der zweiten in die dritte Spalte der ersten Seite, d.h. der Seite mit der Seitennummer arabisch CLI, gewechselt, welch schönes Erlebnis!

Ich will gar nicht wissen, wie viel Zeit es gebraucht hatte, bis alle Karteikarten abgearbeitet waren, als noch keine modernen Datenbanksysteme dem Lexikografen (wer will, darf auch Lexikographen lesen, denn schliesslich war da ja mal ein griechisches Phi) zur Hilfe standen. Das muss eine unglaubliche Aufgabe gewesen sein! Bis nur alle Nachweise gefunden sind, die belegen, dass ein Lemma tatsächlich existiert. Dann muss es noch einer Überprüfung standhalten und in die Kartei rutschen.

Allein wäre eine solche Abarbeitung wohl unmöglich gewesen, die moderne Technik hat daran aber gar nichts geändert, denn, wer alleine ein Wörterbuch schreiben möchte, geht wohl das Risiko eines Lebenswerks damit ein.