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Dritte Potenz der Seele

Jeder muss wissen, was er lesen soll, in welcher Reihenfolge er lesen soll und in welcher Weise er lesen soll. Dies ist die Idee des Augustinermönchs Hugo von Sankt Viktor, während er sein Didascalicon schreibt. Im ersten Kapitel macht sich Hugo Gedanken über die Artes, die Wissenschaften: Was gehört zu den Artes, weshalb beschäftigt sich der Mensch mit ihnen? Die Überlegungen, die Hugo in der Zusammenstellung seiner Leseanleitung anstellt, sind äusserst weitläufig und spannend.

Man muss sich beispielsweise Gedanken über die menschliche Seele machen. Hugo teilt die Seele zu diesem Zweck in drei Potenzen ein: eine, die dem Körper das Leben zufügt, eine, die zur Unterscheidung durch die Sinneswahrnehmung befähigt und eine dritte, die sich auf die Kraft des Geistes und der Vernunft stützt. Und genau diese dritte Potenz unterscheidet den Menschen von Gräsern, die nur mit der ersten Potenz bedacht sind, und von Lebewesen, die mit Sinneswahrnehmung ausgestattet sind:

«Diese Potenz steht nur dem Menschengeschlecht allein zur Verfügung. Sie nimmt nicht nur vollkommene und wohlbegründete Sinneseindrücke und Vorstellungen auf, sondern erklärt und bestätigt auch durch einen vollgültigen Erkenntnisakt, was das Vorstellungsvermögen dargeboten hat. Dieser göttlichen Natur genügt es daher, wie gesagt, nicht, das zu erkennen, was sich ihren Sinnen darbietet, sondern indem sie aus Sinneseindrücken Vorstellungen bildet, ist sie auch in der Lage, gegenwärtig nicht vorhandenen Dingen Namen zu geben, und was sie durch ihr Erkenntnisvermögen erfaßt, das enthüllt sie durch die Benennung mit Wörtern. Denn auch das ist dieser Natur eigen, daß sie mit Hilfe des Bekannten das Unbekannte erforscht, und von allem will sie nicht nur wissen, ob es sei, sondern auch was, wie beschaffen und sogar warum es sei.» (S. 121)

Wie würde ein Hugo von heute erklären, dass die dritte Qualität dieser Natur abhanden gekommen ist?

Literatur:

Hugo von Sankt Viktor: Didascalicon de studio legendi. Studienbuch, lateinisch-deutsch. Hg. von Thilo Offergeld, Freiburg (Breisgau) [u.a.]: Herder 1997 (Fontes Christiani 27) mit Abdruck des von C.H. Buttimer edierten lateinischen Textes, Washington 1939 (= The University of America, Studies in Medieval and Renaissance Latin 10).

Namen und Dinge

Manchmal kommt es vor, dass man einen Namen sucht, von dem man nur noch einen Laut weiss, umso genauer allerdings das Gebiet kennt, mit dem der Name in Verbindung steht. So ging es erst kürzlich, als ein Name mit einem zischenden Anfangslaut gesucht war. Die ganze Sache musste umso peinlicher sein, weil die gesuchte Person eine der begründenden Personen des Studiengebietes war. So sucht man seine Notizen ab, weil man weiss, einmal eine Radiosendung zur historisch-kritischen Bibelauslegung gehört zu haben, in der genau diese Person mit dem «sch»-Laut vorgekommen ist.

Die Notizen werden auch gefunden, aber komischerweise steht der Name nicht mehr da, wo man sich erinnerte, sei er aufgeschrieben. Da beginnt die Suche mit Suchmaschinen, die einem ja manchmal beim Erinnern helfen. Aber auch da findet sich nichts. Und da wird man an Joseph Roths wunderbaren Satz erinnert, der von den Namen handelt.

Aber auch hier muss das kleine Erinnern reichen, das in etwa sagt: Alles nur Namen. Namen sind wichtig! Denn auch dieser Satz ist nicht da aufgeschrieben, wo er hätte aufgeschrieben sein sollen.

Dann blättert man im Ordner eine Seite nach hinten und sieht eine Notiz zum ähnlichen Thema im Islam, blättert zwei Seiten nach vorne und hat genau den Namen, den man so vergeblich im Internet gesucht hat, weil man die Begriffe entweder zu abstrakt eingegeben hat, oder weil man nicht die Zeit aufbringen wollte, jedes einzelne dieser Millionen von Resultaten zu überprüfen.

Zum richtigen Zeitpunkt ist dann Carl Friedrich Strauss eben doch noch aufgetaucht. Dass dies nicht immer so sein muss, hat dann der Mit-Passagier im Bus bestätigt. Nur scheint Suchen und Nichtfinden manchmal lebensbedrohliche Züge anzunehmen. Schuhe, die dieser Passagier als Winterschuhe ausgab – es lagen ja Salz und Schnee – würde manch einer nicht einmal im Sommer anziehen wollen.

So versteht man auch ansatzweise, wie Leute ihr Leben im Ordnen der Dinge leben können, weil das Ordnen – so würde wohl der Arzt in diesem Fall empfehlen – der vielleicht sogar letal endenden Lungenentzündung vorbeugt.

Was Wiki weiss (127)

Auseinandersetzungen mit Namen können erhellend sein. Mit wem teilt man seinen Namen? Wer hört auf die gleiche Lautkombination wie man selbst? Manchmal sind Namen ab dem ersten Moment verbindend, weil man sich merken kann, zu welchem Gesicht der eigene Name auch noch gehört.

Narzisstisch veranlagt wie man ist, möchte man Bilder ansehen, die den eigenen Namen tragen. Manchmal tippt man den eigenen Namen, so peinlich wie es scheinen mag in die Maschine ein. Man tippt in eine Maschine, die alles zu wissen scheint, den eigenen Namen zu kennen vorgibt und einem den Spiegel der eigenen Identität vorhält.

Bei Wiki lernt man beispielsweise, dass unter dem eigenen Vornamen auch noch unzählige Mitglieder der Claudier gemeint waren, marginalisiert den Eindruck, einen eigenständigen Namen zu haben. Auch die Listung von Bischöfen oder gar römischen Kaisern.

Die deutsche Übersetzung des lateinischen Adjektivs claudius anschaunend, bringt Dinge ans Tageslicht, die man nie entdeckt hätte, wenn es die liebe Wiki nicht gegeben hätte: Ein Hinkender oder Lahmer sei man und erst noch ein Verschlossener. Ich bin schon fast daran, ins Wasser zu fallen, das mir Spiegel ist. Vielleicht wäre Konzentration auf sich selbst viel besser als sich einen Spiegel vorzuhalten, der demokratisch zusammengesetzt eine Meinung zu einem Namen zeigt, der zwar für die eigene Identität wichtig, aber nicht bezeichnend zu sein scheint.

Manchmal wird man gegrüsst mit Namen, die nicht die offiziellen sind und ist damit vielleicht besser bedient. Und noch besser ist man bedient, wenn man nicht dauernd das Gefühl hat, man müsse bei sozialen Netzwerken seine Identität aufpolieren. Viel besser, wenn man erst gar keine zweite Identität hat. Eine reicht im Normalfall aus, wird sogar als Normalfall angesehen.

#2: Zeichen und Abkürzungen (89)

Ein unverzichtbares Zeichen hat auch im Duden einen Eintrag bekommen: Das @. Lateinlehrer erklären jeweils stolz, dass das Zeichen aus dem lateinischen ad hervorgebracht worde sei, ob an der Legende etwas ist? Nachvollziehbar wäre es schon, denn wenn man nur genug willig ist, das a und das d darin zu sehen, sieht man es wohl auch.

a. soll eine Abkürzung von Ortsnamen sein, beispielsweise Frankfurt a. Main. Dabei fällt mir auf, dass ich die Stadt unbedingt mal besuchen müsste, damit ich die Bedeutung des a. richtig merken könnte. Bei Affoltern am Albis ist das genauso, aber Frankfurt klingt irgendwie wichtiger als Stadt und dem schönen Fluss.

a. soll aber gleichermassen auch die Abkürzung von lateinisch anno (domini) sein oder Altbundesrat. Wenn man die blochersche Jahreszählung einführen wollte und mit dem Abtreten des Bundesrates verbinden wollte, wäre 2008 das anno Blocheris 1, aber nur nicht anfangen, zu spitzfindig zu werden, schon gar nicht am Anfang dieses Blogs.