Schlagwort-Archive: Sprache

Ergon und Energeia

Die Sprache, in ihrem wirklichen Wesen aufgefasst, ist etwas beständig und in jedem Augenblicke Vorübergehendes. Selbst ihre Erhaltung durch die Schrift ist immer nur eine unvollständige, mumienartige Aufbewahrung, die es doch erst wieder bedarf, dass man dabei den lebendigen Vortrag zu versinnlichen sucht. Sie selbst ist kein Werk (Ergon), sondern eine Thätigkeit (Energeia).

Humboldt, Wilhelm von: Sprachbau und Entwicklung des Menschengeschlechts. In: Werke III. Hrsg. von Andreas Flitner und Klaus Giel. Stuttgart, 1963. S. 418.

Fremdhören

Interessant, dass man von der Sprache der Grossmutter dann doch mehr versteht, als man zunächst gedacht hätte. Dass sich da ein ästhetisches Ideal herausbildet mit Gewöhnung an das Lauten einer Sprache. Die einen im Land klingen, als ob sie eine Rachenkrankheit hätten, und zwar in einer ganzen Region. Wie wenn die die ganze Zeit Zahnwasser gurgeln würden. Da wundert man sich, dass dies selbst die Leute sagen, die diese Sprache in einer anderen Variante sprechen.

Und wenn man dann auch nicht viel versteht, so ist es doch schön, sich darüber zu wundern, solche Feinheiten mitzuhören. Da bedankt man sich für ein linguistisch ausgebildetes Gehör.

Aurlandfjord, Norway

Linkeria #1 (Woche 36, 2009)

  • Drei Definitionen eines Lesers: Die ganze Evolution des Lesens: Ein Leser unter dem Baum, ein Leser als Arbeiter und zuletzt die Lesemaschine (dazu gibt es auch einen Link). Mandy Brown beschreibt schön diese drei Stationen des Lesens in ihrer wunderbaren Working Library, die man am ehesten mit Präsenzbibliothek übersetzen könnte, aber damit auch die ganze Bibliothek entmystifiziert, weil das Lesen aus dieser Art der Bibliothek so sehr nach Arbeit klänge. Ausserdem ist der Artikel zu den Lesetypen auch ein Teil des Argumentariums gegen Feedreader.
  • Series and Databases: Ivan Hagedoorn, selbst Fotograf, Choreograf  und Forscher, macht sich darüber Gedanken, wie sich die Fotografie mit der Zuhilfenahme von Datenbanktechnik verändert. Dabei skizziert er den Weg vom traditionellen Take, der an einem Ort stattgefunden hat, bis zur Fotografie, die Fotos mit Tags versieht und über Schlagworte Zusammenhänge herstellt.
  • Deutsch ist wie eine Hausfrau: Surreale Fragen von Roger Willemsen an Maria Cecilia Barbetta, die aus Argentinien kam und deutsch schreibt: «Die deutsche Sprache fungiert als Aushängeschild. Sie ist die Tür in andere Wirklichkeiten, seien Sie sich dessen gewiss.»
  • Linkeria ist eine neue Kategorie innerhalb dieses Weblogs: Jeden Samstag 3 Links und Kürzestzusammenfassungen zu interessanten, visionären, relevanten und lesenswerten Texten aus dem Web. Anregungen werden gerne per Mail entgegengenommen: linkeria [affenschwanz] textworker [punkt] ch

    Nobelpreisträger bloggt

    Eigentlich finde ich es ja langweilig, in Blogs bloss über Blogs zu lesen oder zu schreiben. Dieser neue Blogger hier scheint mir allerdings einen Beitrag wert zu sein: José Saramago, der Literatur-Nobelpreisträger von 1998, bloggt. In einem El País-Artikel legt er seine Gründe fürs Bloggen dar. Der erste Blog-Beitrag im «Cuaderno» ist eine Liebeserklärung an die Stadt Lissabon, wo Saramagos Stiftung ihren Sitz hat.

    Endlich ein Grund, sich einen spanischen Dictionnaire anzuschaffen, vielleicht auch eine kleine Grammatik, um sich den Gedanken Saramagos, die er im Blog auf Spanisch (oder Portugiesisch) veröffentlicht, zu nähern. Man kann es im Caderno auch mit Portugiesisch probieren, allerdings scheinen sich da vom Latein her einige gröbere sprachgeschichtlichen Ungehobeltheiten ausgebreitet zu haben. Vor kann ich mir von der geschriebenen vorm zum Lautbild keine richtige «Logik» erschliessen. Logik hier in Anführungsstrichen, weil Sprache ohnehin nur bedingt logisch ist, und die Sprecher sich während des Laufs der Jahrhunderte eher kreativ als logisch betätigen. Dies kann dann zu interessanten Aussprachephänomenen kommen, aber ich merke, dass ich vom eigentlichen Thema bereits wieder abkomme.

    Auf jeden Fall könnte man – so man der einen Sprache mächtig wäre – im vergleichenden Lesen der beiden Varianten bestimmt viele Fortschritte im Sprachverständnis machen.

    Was natürlich schade ist, und die Idee von Blogs nicht wahnsinnig nahe kommt, ist die deaktivierte Kommentarfunktion, mit der Lesende mit dem Schreibenden in Kontakt treten könnten. So bleibt der Blog – wie im Namen schon vorweggenommen – ein Heft, ohne alle Möglichkeiten des weltumspannenden Gedankennetzes auszureizen.

    [Für den Hinweis auf den Blog und den Artikel in El País danke ich dem Perlentaucher.]