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Linkeria #1 (Woche 36, 2009)

  • Drei Definitionen eines Lesers: Die ganze Evolution des Lesens: Ein Leser unter dem Baum, ein Leser als Arbeiter und zuletzt die Lesemaschine (dazu gibt es auch einen Link). Mandy Brown beschreibt schön diese drei Stationen des Lesens in ihrer wunderbaren Working Library, die man am ehesten mit Präsenzbibliothek übersetzen könnte, aber damit auch die ganze Bibliothek entmystifiziert, weil das Lesen aus dieser Art der Bibliothek so sehr nach Arbeit klänge. Ausserdem ist der Artikel zu den Lesetypen auch ein Teil des Argumentariums gegen Feedreader.
  • Series and Databases: Ivan Hagedoorn, selbst Fotograf, Choreograf  und Forscher, macht sich darüber Gedanken, wie sich die Fotografie mit der Zuhilfenahme von Datenbanktechnik verändert. Dabei skizziert er den Weg vom traditionellen Take, der an einem Ort stattgefunden hat, bis zur Fotografie, die Fotos mit Tags versieht und über Schlagworte Zusammenhänge herstellt.
  • Deutsch ist wie eine Hausfrau: Surreale Fragen von Roger Willemsen an Maria Cecilia Barbetta, die aus Argentinien kam und deutsch schreibt: «Die deutsche Sprache fungiert als Aushängeschild. Sie ist die Tür in andere Wirklichkeiten, seien Sie sich dessen gewiss.»
  • Linkeria ist eine neue Kategorie innerhalb dieses Weblogs: Jeden Samstag 3 Links und Kürzestzusammenfassungen zu interessanten, visionären, relevanten und lesenswerten Texten aus dem Web. Anregungen werden gerne per Mail entgegengenommen: linkeria [affenschwanz] textworker [punkt] ch

    Die Stadt am Fluss

    Städte an Flüssen sind anders als Städte, die nicht an Flüssen sind. Sie schmiegen sich in den Lauf des Flusses ein, der Alltag in solchen Städten versteht, dass ein Fluss nie derselbe Fluss sein kann. In solchen Städten erfasst man das Phänomen Zeit besser, weil man gleichsam mit dem Wasser die Zeit verrinnen sieht, fast so, wie wenn man dem Zeiger einer Uhr zuschauen würde, wie er beständig weiter will.

    An gewissen Tagen sind in den Städten andere Flüsse zu Gast, das Tempo wird von aussen bestimmt: Züge aus allen Ländern, die man kennt, kommen an, jeder in seiner Geschwindigkeit, in seinem Rhythmus. Aus mysteriösen Zügen steigen Menschen, die sich alltäglich mit anderen Flüssen beschäftigen, und sich damit auskennen. Sie geben den Ortsansässigen Gastspiele, helfen dabei, die Moldau tausende von Kilometern weit zu transportieren. Sie helfen der Moldau dahin, wo sie aus eigener Kraft gar nie hingekommen wäre.

    Dann kennen die Menschen in der Stadt plötzlich einen neuen Fluss, der den Staub aufwirbelt und Trommelfelle zum vibrieren bringt, lässt sie mit anderen Füssen durch die Stadt gehen und sie darüber nachdenken, was wäre, wenn der Fluss sich nicht so sorgfältig in die Stadt eingebettet hätte. Oder auch darüber, was wäre, wenn die Menschen aus den anderen Ländern einen Fluss mitgebracht hätten, der nicht in die Landschaft passt.

    Dabei erinnern sie sich daran, dass an jenem Abend auch die Moldau  Anlaufschwierigkeiten hatten: Bis sich die Flöten und Geigen einig waren, in welcher Taktung sie den Fluss gehen lassen wollten. Dann aber, gelenkt durch die Ortskundigen fand man Wege, die – aus dem Applaus zu schliessen – lieber nie geendet hätten. Irgendwann sind alle Wasser vorüber.

    Städte, Länder, Flüsse.

    Stadtreinigung

    Ob man es glaubt oder nicht, Städte werden gereinigt und gefegt. Nicht nur mit Wischfahrzeugen oder anderem Gefährt. Schläuche werden ausgelegt, in Gullis runtergelassen und wieder heraufgezogen. Während sie heraufkommen, sucht sich das Abwasser Wege. Es flieht vor dem Strahl sauberen Wassers, der hinterhereilt und in seiner Eile den Blütenstaub mit sich reisst.

    Selbst der Himmel hilft mit: Von oben kommt Wasser, das die Zeitungen am Kiosk reinwäscht: Auch da wird der Zauber der Blüten abgewaschen. Die Allergiker, die sich eines der Exemplare reinziehen wollen, danken es vielleicht. Möglicherweise werden auch die Schreckensnachrichten durch das saure Wasser ein wenig süsser.

    Manchmal riecht es von Desinfektionsmittel, an der Stelle, an der normalerweise ausgeleerter Alkohol verdunstet, Hunde herumtoben und Menschen in lebhafte Diskussionen um Zehnrappenstücke entbrennen. Es riecht dann so, wie wenn man sich nach dem Hallenbad die Füsse vollsprüht, damit keine Pilze spriessen.

    An solchen Tagen ist das Pennerbänklein auch leer.

    Urban density (80)

    Die erste Folge von trans2flickr. trans2flickr: Der Versuch, flickr.com Fotos zu lesen. Translationen und Transformationen von Bildern in Sprache, von Bildern in Sprachgebilde. Ein Ausloten von Mediengrenzen.
    Ein kleiner Vogel soll es gezeichnet haben, sagt das Bild. Ein klitzekleines, der grossen Welt angehörendes Spätzchen, das den Frühling von den Dächern pfeifen würde, wenn es denn schon Zeit dazu wäre.

    Der Text zum Bild

    Aber der Frühling lässt noch auf sich warten, wie das Bild vermuten lässt. Häuser, lauter Häuser sind zu sehen. Und dies nicht etwa frühlingshaft gekleidet.

    Der Meinung des kleinen Vögelchens mit dem roten Herzen nach sollten die Häuser ihre urbane Identität nicht verstecken. Aber sie können auch gar nicht, denn sie sind es ja, die der Stadt ihren urbanen Charakter verleihen. Die Häuser kümmert das nicht.

    Andere Häuser aber stehen nicht so charakterlos da. Sie stehen da schon seit langer Zeit, die einen schon seit hunderten von Jahren, die anderen erst neu zum Klub hinzugekommen. An den Häusern geht die Spur der Zeit einfach so vorbei; sie brauchen sich nicht einmal darum zu kümmern.

    Wenn das Vögelchen, das dieses Bild gemalt hat, ein bisschen genauer hingesehen hätte, wäre ihm aufgefallen, dass nicht alle so spurlos dastehen: Sie beherbergen den Puls der Zeit, deren Strömungen und Richtungen, den Geist der Zeit, aber auch den Zeitgeist und demonstrieren ihre Beschaffenheit.
    Kulturdenkmäler mit Kreuzen in den Scheiben, ehrwürdige Rundbauten, ein Gebäude am anderen, Tür an Tor, das Mittelalter und die Moderne.

    Alles kommt da zusammen, auch das, was das Spätzchen nicht sehen kann: Das Spätzchen selbst, das liebend gern schon den Frühling von den Dächern pfeifen würde; die Mauer, die den Frühling schon gar nicht mehr hören können, weil sie schon so viele Male nach den langen Wintern vom Frühling getäuscht wurden und jedes Jahr die Enttäuschung von neuem hinnehmen müssen.

    Mit dem Frühling müssen sie sich nicht beschäftigen, denn die kleinen Vögelchen sagen es ihnen, wenn die Zeit gekommen ist.

    Das Bild zum Text

    Welches Flickr-Bildchen gehört dazu?