«Endlich lerne ich, wie man isst, ohne zu kleckern», dachte ich, als ich neulich im Bus neben zwei jungen Türkinnen sass. Die eine mit Kopftuch, die andere mit Kebab in der Hand. Wir haben es während der Kantizeit Mittag für Mittag geübt, dieses in Fladenbrot gerollte Fleisch mit köstlicher Sauce und «mit wenig Scharf» zu essen. Die Aufgabe der Zwiebelringe ist es, aus dem Kebab herauszufallen, diejenige der Sauce, die Hosenbeine zu schmücken.
Mehrere Stationen schaute ich zu, wie die Frau mit Kebab ihre Hände geschickt um den Kebab legte, um so Zwiebeln und Sauce zu bändigen. Sie beherrschte das Fleisch mit allen feinmotorischen Tricks. Finger um Finger isst sie sich dem Kebab entlang. Nur kleine schmierige Reste lässt sie der Alufolie übrig.
Da beginnen sie zu schwatzen. Man horcht auf, versteht immer wieder Versatzstücke. Code-Switching denkt der linguistische Hirnbereich, schon gehört im Zusammenhang mit italienischen Migranten. Es wird immer gerade die Sprache verwendet, in der sich etwas am besten ausdrücken lässt. «Jupe» sagen sie auf Schweizerdeutsch, um dann auf Türkisch weiterzufahren.
Der Beobachter mischt sich ins Gespräch ein: «Macht ihr das bewusst, dass ihr die Sprache wechselt?» – «Weisst du, wenn du beide Sprachen gut kannst, passiert das automatisch.» Die Frau nebenan, die das Gespräch auch belauscht hat, lacht mit ihren Lippen. Schweigen.
Linguistik tötet Gespräche. Und beim Ausziehen war Sauce auf dem Schuh.
Der Automat wird bedient in Ankara. Man kommt am Bahnhof an und möchte sein Gepäck einschliessen, die wenigen Leute, die schon da sind, zeigen einem, dass es einen Automaten für die Bagaj gibt. Es ist tatsächlich da, dieses Gerät, doch es nimmt kein Geld an und kein Gepäck.
Das bestellte breakfast beweist, dass türkisches Morgenessen nicht nur in Istanbul aus zu einem Fladen gebackenen Brot, einem Stück Gurke, Oliven und Käse besteht, sondern auch in Ankara, der Stadt, die so sehr an Mustafa Kemal aka Atatürk erinnert.
An diesem Bahnhof ist auch das ursprüngliche, aus politischen Gründen aber vertagte Reiseziel, Tahran, angeschrieben. Der Transasia-Express fährt um 11 Uhr aus Ankara ab. Wir sehen ihn nicht mehr; der den Automaten bedient, hat schon früher seine Geschäftsstunde und gibt den Code in die Maschine ein, mit dem sie unser Gepäck lagert.
Ohne Stadtplan orientiert man sich auch in Ankara nur schwer, so wie man sich in Florenz schlecht mit einem Plan von Venedig die Kirchen sucht, für die man eigentlich den Zwischenhalt eingelegt hat. Das Atatürk-Mausoleum und eine Festung sind auf den Schildern für Touristen angegeben, aber die Festung auf einem der Hügel ist von Stacheldraht umzäunt, wahrscheinlich auch hier zur falschen Zeit am richtigen Ort. Dafür ist das Bild, das sich einem von diesem Hügel oben bietet, wunderbar: Man erkennt, wie die Stadt in die Hügel hineingebaut ist, sieht unterschiedliche Häuserstile: Wohnblocks und Hütten mit Blechdächern, Einkaufshäuser und Imbissstände, Steinmoscheen im Aufbau und Minarette aus Wellblech. Blech glänzt.
Auf dem Weg zum Atatürk-Mausoleum, den ich nicht so direkt nehme, wie man ihn nehmen könnte, komme ich nahe des Otogars an einem Viertel mit Selbstwerker-Läden vorbei. Ich weiss jetzt, wo ich in Ankara Toilettenschüsseln, Bodenplatten oder Küchen bekommen könnte, wenn ich solche Dinge einmal benötigen sollte. Statt zum Mausoleum komme ich nun aber in ein Ministerium, in dem eine nette Literaturwissenschaftlerin arbeitet, die sich ganz erstaunt über die Reisepläne zeigt und ein Taxi bestellt, das mich zum Mausoleum bringen soll.
Ich stelle mir vor, wie idyllisch dieser Ort wohl sein müsste, wenn die Sonne nicht so unvermittelt herabstrahlen würde. Aber auch so macht einen Vieles staunen: Die Decke, die mit Goldmosaik verziert ist, der polierte Marmor, auf dem Boden ebenso glänzig wie an den Wänden, und die Angehörigen der türkischen Armee, die in anachronistischer Verkleidung das Nationalheiligtum beschützen.
Das Museum zeigt Panoptika von Schlachten, in denen tapfere Türken die Vorarbeit für die heutige Türkei geleistet haben, den persönlichen Wagenpark Atatürks, die Privatbibliothek des Reformers und es zeigt nicht zuletzt Osmanen, die zu Türken werden: Sie bekommen ein neues Alphabet, die Sprache wird vereinheitlicht, türkische Mythen werden gesammelt und die Grenzen zum Ausland klar gezogen.
Der Bediener des Automaten ist gerade beim Einkauf, da wir am Bahnhof unsere Rücksäcke abholen wollen, die Toiletten-Aufsicht meint, er komme bald zurück. Die türkische Errungenschaft des Tages ist Hürriyet, ganz nach dem Vorbild der französischen Liberté.
Er beschwört uns mit einem Salaam Aleikum, während er mühsam in den Bus steigt. Ein ältlicher Herr, Bart und lange Hosen, ein Türke nahe zur Grenze von Georgien. Er müsse erst später aussteigen, sagt er zum Busfahrer und seinem Gehilfen, aber wo genau wisse er im Moment nicht mehr.
Der jüngere Herr, anfangs zwanzig, der nach ihm einsteigt und den Platz neben Herrn Salaam einnimmt, zeigt weniger Freude am händeschüttelnden Salaam Aleikum und den herzlichen Augen. Schnell stöpselt er seine Ohren mit Kopfhörern zu, um nur noch Nebensächliches mitzubekommen: Gerüche und Bilder.
Er muss verpassen, was all die anderen von Herrn Salaam haben: Ein Anruf auf seinem Mobiltelefon mit modisch-türkischer Musik und dann ein Geschnatter, dem man leider nicht nachkommt. Dann aber hört man den Ton erneut. Man stellt fest, dass es sich keineswegs um die Musik eines Anrufers handelt: Der liebe Herr hört seine Musik auf seinem Handtelefon an. Mit Lautsprecher, so dass auch die Hinterbänkler etwas von ihm haben, der auf dem vordersten Sitz mitfährt. Der Busfahrer will wissen, an welchem Strassenrand der Herr aussteigen möchte. Allah, Allah, dazu die Musik von vorhin. Ob es da vorne sei? Allah, Allah, der Alte stellt seine Musik lauter, sein Kopf tänzelt dazu und immer noch Allah, Allah.
Die Leute schauen auf ihre Armbanduhren, schütteln den Kopf: Es sei noch nicht die Zeit der Imame. Währenddessen fährt im Fenster das Schwarze Meer vorüber, eine Teefabrik nach der anderen säumt das Ufer dieses Meeres, färben das Meer dunkel. Und endlich: Herr Allah, Allah verabschiedet sich von seinem Nachbarn, klappt sein Handy zu und drückt dem Busfahrer sein Geld in die Finger: Hier möchte ich aussteigen.