Schlagwort-Archive: Wasser

Brillenjahr

Es muss ein Vakuum geben, dann ist sie dicht. Wir Menschen sind ja nie ganz dicht. Wir müssen unsere Augen hinter einem Vakuum verstecken, sonst macht Chlor mit ihnen, was es will. Ohne Versteck sind wir ausgeliefert, es rötet sich alles.

Wasserbrille

Im Wasser glauben wir dann, wir würden besser sehen: Die Füsse der anderen, verlorene Schlüssel auf dem Boden und die Tiefe des Wassers. Ohne Brille ist Wasser wie im Tümpel, man sieht nicht, worin man sich bewegt. Statt Seegras wickelt sich Haar um die Finger. Eigentlich sieht man nur anders.

***

Die Kälte rötet auch alles. Oranges Brillenglas färbt Schnee. Zieht man es ab, ist alles blau. Wie Galilei in die Sonne schauen: Blender. Den Himmel anschauen: La vie en rose.

Stadtreinigung

Ob man es glaubt oder nicht, Städte werden gereinigt und gefegt. Nicht nur mit Wischfahrzeugen oder anderem Gefährt. Schläuche werden ausgelegt, in Gullis runtergelassen und wieder heraufgezogen. Während sie heraufkommen, sucht sich das Abwasser Wege. Es flieht vor dem Strahl sauberen Wassers, der hinterhereilt und in seiner Eile den Blütenstaub mit sich reisst.

Selbst der Himmel hilft mit: Von oben kommt Wasser, das die Zeitungen am Kiosk reinwäscht: Auch da wird der Zauber der Blüten abgewaschen. Die Allergiker, die sich eines der Exemplare reinziehen wollen, danken es vielleicht. Möglicherweise werden auch die Schreckensnachrichten durch das saure Wasser ein wenig süsser.

Manchmal riecht es von Desinfektionsmittel, an der Stelle, an der normalerweise ausgeleerter Alkohol verdunstet, Hunde herumtoben und Menschen in lebhafte Diskussionen um Zehnrappenstücke entbrennen. Es riecht dann so, wie wenn man sich nach dem Hallenbad die Füsse vollsprüht, damit keine Pilze spriessen.

An solchen Tagen ist das Pennerbänklein auch leer.

Chlorgebrabbel

Man kann an einer Station aus dem Zug aussteigen, an der man sich die Leute angucken kann, die Verantwortung tragen. Einer schleppt da den grösseren Bauch mit sich herum als der andere. Das muss wohl vom vielen Entscheiden kommen: Kaufen, verkaufen, behalten, eine Option auf den Kauf kaufen, die Option auf den Kauf verkaufen.

Sie haben ihre separate Tür, wenn sie aus dem Bahnhof hinaustreten wollen. An einer anderen Tür kann man an dieser Station auch Leute anschauen, die über diejenigen mit der Verantwortung Geschichten schreiben. Welten trennen diese beiden Spezies: Tropfen eines tosenden Gewässers.

An der selben Station steigen auch die Leute aus, die sich wie Fische fühlen wollen. Sie wechseln die Strassenseite, ignorieren mit Wohlwollen die Verantwortungsträger – man soll die schwer Tragenden nicht noch ärger belasten –, weil sie Wichtigeres zu tun haben.

Sie schwitzen unter Schwerstarbeit und merken nichts davon, weil sie im Wasser arbeiten. Das linke Bein hoch, dann das rechte, alles schön im Takt der Musik, die mehr von Vorgestern nicht sein könnte. Diejenigen, die sich nicht anleiten lassen von der Dame mit Turnschuhen, teilen sich in Schnelle und Langsame, indem sie Bahnen ziehen.

Kommen sie aus dem Gebäude, das eigens dazu gebaut wurde, Wasser zu enthalten, sehen sie alles in anderem Licht: Die Händler, die mit Unsichtbarem handeln, die Schreiberlinge, die im Glaskomplex sitzen, und die abertausend Wasserteilchen, die von oben nach unten fliessen.

Die Königin des Wassers

Während technisch begabte ihre Runden wie Fische schwimmen, sind auch Wasserratten auf der Bahn, die um Himmels willen nicht den Kopf ins Wasser stecken wollen. Auch die Dame mit dem freundlichen Gesicht, die einem noch den Vortritt gewährte, weil sie eine kompliziertere Angelegenheit an der Kasse zu erledigen hatte.

Peinlich berührt streifen sich die Blicke. Dusseliger hätte man sich am Drehkreuz nicht verhalten können: Den Strichcode nach unten gehalten statt nach oben. Den Piepston vergeblich erwartet. Nochmals zurückgeeilt und Tipps von Kennern der technischen Ausstattung erhascht.

Plötzlich klappt es beim ersten Mal, dem Sprung ins Wasser steht nichts im Wege. Man stellt sich vor, elegant ins Wasser zu springen, alle um sich herum von seiner Körperspannung zu überzeugen. Nicht einmal sich selbst kann man davon überzeugen und nimmt stattdessen wie die älteren Semester, die gemütlich ihre Runden drehen, die Treppe zum sachten Einstieg ins Wasser.

Nebenan die Kinder beobachten, wie sie vom Einmeter ins Wasser springen. Dabei in die eigene Vergangenheit zurückkatapultiert werden. Bilder vom Badmeister, der Schindele hiess, tauchen auf. Wie wenn sie sich im Wasser konserviert hätten; dem Chlor jahrelang getrotzt.

Und dann schwimmt die Dame vom Eingang an einem vorbei. Demonstrativ nach draussen schauend, wie eine Königin des Wassers. Sie hat den Kopf in edler Einfachheit in die Höhe gereckt. In nahezu unerreichbarer Position. Der einzige Trost, der bleibt: Man weiss sich im gleichen Wasser sitzen.