Alle Beiträge von Claudio

Ergon und Energeia

Die Sprache, in ihrem wirklichen Wesen aufgefasst, ist etwas beständig und in jedem Augenblicke Vorübergehendes. Selbst ihre Erhaltung durch die Schrift ist immer nur eine unvollständige, mumienartige Aufbewahrung, die es doch erst wieder bedarf, dass man dabei den lebendigen Vortrag zu versinnlichen sucht. Sie selbst ist kein Werk (Ergon), sondern eine Thätigkeit (Energeia).

Humboldt, Wilhelm von: Sprachbau und Entwicklung des Menschengeschlechts. In: Werke III. Hrsg. von Andreas Flitner und Klaus Giel. Stuttgart, 1963. S. 418.

Grenzen bauen

Neuerdings haben die Städtischen Werke ein «Gitterdepot», wie sie es nennen. Der Weg dorthin ist ausgeschildert. «Eingang Gitterdepot», steht auf einer Tafel, die eigens für diesen Zweck in den Boden eingelassen wurde. Der Weg führt über einen Parkplatz, der selbst mit Gittern aus diesem Gitterdepot eingezäunt ist.

Nach diesem Parkplatz steht man an einer Umzäunung, die an die Pferde erinnert, die vor den Gittern auf diesem Gelände waren. Darin lagert alles, was das Herz eines Begrenzers begehrt. Gitter, Tafeln, Achtungsignale, möglicherweise Stacheldraht. Dies hängt vom Gebrauch ab. Täglich wird eingefahren mit einem Lastauto, das in sich diese Gitter aufnehmen kann, weil eine Stadt wie die unsrige sich begrenzen muss.

Der Weg ist frisch geteert, der Kontrast zwischen dem Kies und dem Teer lässt dies erkennen. Da ist noch diese Linie. Sie drückt die Perfektion der Umgrenzung aus, die in beamtischer Voraussicht und Ästhetik konstruiert wurde. Sie zeigt, wo der Weg fertig ist: Eine Linie zwischen hochreinem Weg und dem bedrohenden Kies.

«Er ist wieder so, wie er war, vor langer Zeit, der schwarze Panther.»

Aus seinem Verlag sind viele Bücher in meinem Gestell. Ein Porträt von Daniel Keel liest sich im Archiv der Zeit. Viele grossartige Leseerfahrungen wären ohne ihn nicht möglich geworden. Das Parfum von Patrik Süskind etwa, Der Besuch der alten Dame neben anderen Dürrenmatts, War meine Zeit meine Zeit von Loetscher, die Reihe wäre noch unendlich fortzusetzen. Denkt man.

Jetzt lebt sein Verlag ohne ihn weiter. Daniel Keel ist heute mit 80 Jahren gestorben, mit ihm ein grosser Literat.

Fremdhören

Interessant, dass man von der Sprache der Grossmutter dann doch mehr versteht, als man zunächst gedacht hätte. Dass sich da ein ästhetisches Ideal herausbildet mit Gewöhnung an das Lauten einer Sprache. Die einen im Land klingen, als ob sie eine Rachenkrankheit hätten, und zwar in einer ganzen Region. Wie wenn die die ganze Zeit Zahnwasser gurgeln würden. Da wundert man sich, dass dies selbst die Leute sagen, die diese Sprache in einer anderen Variante sprechen.

Und wenn man dann auch nicht viel versteht, so ist es doch schön, sich darüber zu wundern, solche Feinheiten mitzuhören. Da bedankt man sich für ein linguistisch ausgebildetes Gehör.

Aurlandfjord, Norway

Gelesen: Gardens

Gardens ist ein Essay von Robert Pogue Harrison, Italienischprofessor an der Stanford Universität. Er zeigt in seinem Essay den literarischen und kulturhistorischen Topos des Gartens. Harrison führt seinen Leser von Gartengeschichten mit Eva im Garten über Orte des freien Denkens zu Paradiesvorstellungen des Christentums und des Islams.

Am Topos des Gartens interessiert ihn die Abgeschiedenheit von der restlichen Welt und das Bedürfnis der Menschen, Geschichten zu erzählen: „For Camus it was the sun, but more often than not in Western culture it has been the garden, whether real or imaginary, that has provided sanctuary from the frenzy and tumult of history.“ (ix) Genau dieses sanctuary versucht er aufzuspüren und macht dies sehr überzeugend.

Über das urgärtnerische Symptom des Kultivierens findet Harrison einen Weg durch verschiedene Gärten der Kultur- und Literaturgeschichte und zeigt in der Lektüre dieser Gärten literarische Spitzfindigkeiten. Er spricht davon, dass in Gärten Potenzialitäten angelegt werden, die kultiviert werden müssen von einem Gärtner, der sich kümmert um die Pflanzen und um den Garten.

Harrison analysiert mit scharfem Sinn und zeigt auch die wesentlichen Mängel von Prunkgärten auf, die einzig der Machtdemonstration dienen. Mit spannenden Anekdoten verschattet er den Garten des Sonnenkönigs, nimmt sein eigenes Urteil aber mit Bescheidenheit zurück.

Harrison, Robert Pogue: Gardens. An Essay on the Human Condition.The University of Chicago Press, 2009.