Archiv der Kategorie: Gehört

Time After Time After Time After

So ging es mir gestern mit Miles Davis: Time After Time und nochmals und nochmals. Bei jedem Hören entdeckt man eine neue Schattierung der Trompetenklänge, die so viel melancholischer zum Ohr kommen als der Gesang von Cindy Lauper. «Liegt dies daran, dass die Trompete gedämpft ist? Oder daran, dass man biografistisch Musik hört?»

Solche Fragen sind dermassen unergründlich, dass ich mir immer wieder diese gedämpfte Trompetenstimme angehört habe. Solche Hörexperimente graben immer weiter: immer weiter in den Untergrund. Wenn man nicht mehr graben will, kommt man aus dem eigenen Loch nicht mehr raus und ist trotz er-innerndem Hören immer noch nicht weiter als am Anfang: Da war die Entscheidung ganz subjektiv: «Die Davis’sche Variante gefällt mir besser.». Und dies im Wissen darum, dass sie nicht nur Original, sondern auch «bloss Interpretation» ist.

Wie soll man so noch Musik hören?

Salzwasser-Gedanken

Wäre man doch auf Menschen getroffen, die sich das Leben direkt am Meer loben. Was kann es Schöneres geben als dem Getose der Wellen zuzuhören, verrückten Surfern zuzuschauen wie sie sich unablässig den Klippen nähern und zum wiederholten Mal vom Schiff gerettet werden, weil dies zum Service gehört, oder Möwen beim Kreisen zu beobachten?

Wenn die Möwe ihr Fluggewicht optimieren muss, damit die Luft sich nicht ihrer habhaft macht, sondern die Möwe sich der Dynamik der Luft ermächtigt, produziert sie so wunderliche Muster im Meereswasser, das sich freut, Träger höchster Kultur zu werden. Ein weisser Tropfen, der sich langsam aber nachhaltig ausbreitet, und so schnell wie er da, auch wieder weg ist.

Und dann meinen sie auch noch, dass sie ihr Leben nur leben, weil sie das Meer lieben. Diese schwierigste aller schwierigen Koexistenzen, weil der grosse Teich gleichzeitig Lebensgeber aber auch Lebensnehmer spielt. Er gibt Wärme in Strömen, so dass sich Inseln mit Palmen füllen, wo man es nicht erwartete. Dann nimmt er aber auch die Wärme weil er sich immer mehr erkaltet.

Warum kann er nicht seine Zugangsschleusen kontrollieren? Warum nimmt er denn all das Wasser auf, das die Polkappen nicht mehr besitzen wollen? Warum will er die Ströme unterbrechen, warum nur?

Es scheint alles daran zu liegen, dass er die Menschen dazu bewegen möchte, sein Becken zu vergrössern. Sie, die leben, weil sie es lieben am Meer zu leben. Die sich immer darum kümmern, wie die Ströme fliessen. Die sich um die Palmen kümmern. Und so wird aus einer schwierigen Koexistenz eine perfekte Symbiose, wie man sie sich in Büchern mit Bildern nicht besser vorstellen könnte.

So schauen nämlich die grossen Wellen zu, wie sie sich damit abmühen, den Wall neu aufzuwerfen, weil sie etwas ahnen, aber nicht genau wissen, ob sie richtig sind, ob die Höhe des Beckens reichen wird.

In dieser Weise bekommt das Leben am Salzwasser Reiz.

Eingefleischt

Am Radio mit halbem Ohr zugehört, wie jemand von Religionen gesprochen hat. Er erzählt, dass es plötzlich der Wunsch des Geistes geworden sei, auch Material zu werden, denn am Anfang sei alles geistig gewesen. Statt von Inkarnation oder Fleischwerdung hat er dann von Einfleischung gesprochen.

Zuerst herrschte Verwunderung über dieses Wort. Dann fand ich es schön, weil es so wunderbar materialistisch klang, und so den Prozess viel eher wiedergeben konnte: Ein-fleischung und Ein-Fleischung.

Schlussendlich dieses synaptische Klicken bei einfleischen: Ein direkter Verweis zum Text von Stifter, über den ich gerade arbeite, eine Erzählung, die von einem Granitblock umrahmt ist, deshalb wohl «Granit» heisst, und in der Studienfassung noch «Die Pechbrenner» betitelt war. Und eigentlich sind es ja auch gleich zwei Erzählungen in einer, denn der Grossvater beruhigt seinen Enkel mit einer Binnenerzählung von seinem Pech (in beiden Sinnen).

Nun aber zum synaptischen Klicken, zum eigentlichen Ursprung des Traumas, das durch die Pechgeschichte entsteht: «Was hat denn dieser heillose eingefleischte Sohn heute für Dinge an sich?» (S. 22) Und natürlich: Es ist Pech, was dieser Sohn an seinen Füssen hat.

Literatur: Stifter, Adalbert: Granit. In: Derselbe: Bunte Steine (hrsg. von Helmut Bachmaier). Stuttgart: Reclam, 1994.

Aber der Zug rollt doch noch (79)

Heute am Bahnhof: Es herrscht eine riesige Aufregung. Nein, diesmal nicht, weil der Strom ausgefallen wäre (wie am Tag zuvor), sondern – was einem Pendler oder einer Pendlerin gar nicht als bemerkenswert auffallen
würde – weil sich der Zug noch im Rollen befindet, währenddem sich die Türen öffnen.

Das Gespräch – leider nicht O-Ton, sondern ein aus dem Gedächtnis rekonstruiertes Transkript. Ich weiss, dass ich mich damit in Teufels Küche begebe, denn kein Gedächtnis kann ein Gespräch so gut in Erinnerung behalten, dass es dem tatsächlichen Gespräch entspricht; dies sei mir hier aber verziehen. Abgesehen vom inhaltlichen Dilemma der Gesprächswiedergabe stellt sich auch eine sprachliche Schwierigkeit: Meine Erinnerungen sind in einem Zürcher-Dialekt, obwohl sich die beiden Gesprächspartner in einem Thurgauer-Dialekt unterhielten.

Aber auch das wollen wir hier als Nebensache behandeln. Ausschlaggebend, auch für diesen Blog-Beitrag, ist das Faktum, dass das Gespräch etwas Alltägliches zum Extraordinären macht. Der Alltag wird dadurch spannender, nachdenklicher und bestimmt auch lebenswerter, denn «normal» geglaubte Strukturen werden aufgebrochen und hinterfragt.

Mädchen: Aber dä fahrt ja no.

Mutter: Ja, das schtimmt.

Mädchen: Dä Maa isch abär vorhär uusgschtigä und dä Zug isch no gfahrä.

Mutter: Aber nur ganz langsam, das isch dänn nid so schlimm.

Mädchen: Aber jetzt hät är ganz aghalte. Jetzt chömmer usschtige.

Dies der Kommentar einer jungen Zugfahrerin und ihrer Mutter, als die S8 aus der Richtung Frauenfeld kommend, bevor sie ausstieg und der Beobachter dieser Begebenheit sehnsüchtig darauf wartete, endlich aufs Trittbrett aufzuspringen.

Leider nicht ganz so spektakulär wie die Brüder in Indien auf den Darjeeling Limited aufgesprungen sind, dafür aber für eine umso kürzere Bahnfahrt, die ausser einigen «gut» riechenden Mitfahrenden, und dies sogar im Winter!, nicht wahnsinnig Spektakuläres oder Sinnliches zu Tage gefördert hat.

An den Kindergarten erinnert (65)

Beim Umherfahren erinnert man sich manchmal an etwas. Im Bus waren so viele aufgeregte Kindergarten-Gesichter zu sehen (obschon gar kein Schulanfang war). Aber es war eigentlich gar nicht das, was an den Kindergarten erinnerte.

Vielmehr war es der Buschauffeur, der mit seinen Ansagen die Busfahrt in ein richtiges Abenteuer verwandelte. Nein nicht der Buschauffeur; derjenige im Kindergarten. Er war jeweils der «luschtigi Busschöfför». Es ist unerklärlich, weshalb man diesem Buschauffeur nur das Prädikat lustig verliehen haben, denn hätte er ein grösseres Wort verdient. Daran müsste man sich eigentlich erinnern.

Man wurde begrüsst mit der typischen Flugzeugbegrüssung (als Kind muss man schliesslich wissen, wie sich typische Flugzeugansagen anhören). Mit diesem Pilot-/Buschauffeur war die kurze Strecke noch viel schneller fertig als normalerweise, denn ein Flugzeug muss ja schneller sein als ein normaler Bus, sonst wäre da gar kein Witz dabei. Die Kinder waren überzeugt, der Buschauffeur werde sie irgendwann einmal in einem richtigen Passagierflugzeug statt dem alten Saurer-Bus begrüssen.