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Schreibmaschinenmenschen

FokussiertDen Fokusmodus habe ich lange vermisst. Erst vor kurzem habe ich ihn auf dem Papier wiedergefunden: Papier schluckt alles und lenkt mit gar nichts ab, wenn noch nichts drauf steht. Im Computer drin gibts so viel Ablenkung: Aufsätze, die noch nicht gelesen sind, Datenbanken, die Abfragen schlucken wollen, das Internet, das Beschäftigung braucht. Die Links sind da, um beklickt zu werden, sonst schöpft man nicht das ganze Lesbarkeitspotenzial aus.

So verrinnt Stunde um Stunde, ganz unproduktiv produktiv genutzt, in denen man schon Texte konstruiert, indem man sie nämlich liest, aber gleichzeitig keine Texte konstruiert, indem man keine schreibt, weil man vor dem Schreiben doch immer noch etwas und noch etwas lesen sollte. So sitzt man dann stundenlang vor dem Schirm, lähmt sich selbst und klagt am Ende über Nackenschmerzen und Müdigkeit, die davon herrührt, dass nichts Lesbares zustande kommt.

Da waren die Schreibmaschinenleute wie gesagt noch produktiver. Ihnen war klar, dass erst etwas auf dem Papier steht, wenn etwas auf dem Papier steht. Nur bei uns steht schon etwas auf dem Schirm, wenn eigentlich und unvoreingenommen besehen noch nichts da steht.

Die Informationsarchitekten haben sich gesagt, dass wir alle wieder Schreibmaschinenleute werden sollen. Sie haben eine Software gebastelt, mit der man alles wegmachen kann, ausser den Text, den man gerade schreiben will. Sie haben sich richtig Mühe gegeben und etwas Tolles geschaffen, mit dem man wieder lineare Texte schreiben kann, die man sich vorher überlegt hat, oder die im Schreiben entstehen, weil schreiben nicht sich ablenken heisst. Fokussiert ist nur der eine Satz, an dem man gerade schreibt, die anderen sind halb weg, nicht dass man immer wieder zurückgeht und ändert und nochmals ändert, bloss weil man das kann.

Text über Text über Text

Just in der Woche, nachdem die letzte Schreibmaschinenfabrik in Indien schloss, waren wir im Museum. Unglaublich, diese vielen Modelle, die es zu bestaunen gab: Hermes und auch die Baby war da, Kugelköpfe und anderes vormodernes Zeugs. Und ein Mann mit Leidenschaften.

Er veranstalte Wettbewerbe auf mechanischen Schreibmaschinen. Er hat mich eingeladen, da auch mitzumachen, ich hätte ein bisschen Talent, auf diesen alten Dingern schnell zu schreiben. Es klapperte auch, und ich konnte verstehen, weshalb wieder auf Schreibmaschine umsteigt, wer Text in seiner Materialität liebt.

Es klopft, wenn ich auf die Taste haue, der Papierwagen verschiebt sich um einen Buchstaben nach links und sobald ich die Zeile vollgeschrieben habe, muss ich die linke Hand von der Tastatur nehmen, den Zeilenschalter betätigen und den Wagen nach rechts schieben. Eine grandiose Erfindung. Spürst du den Text?

Manchmal aber auch nicht so: Für den computergewandten Schreiber, macht sich doch das mechanische Manko bemerkbar: Immer wieder kommen sich die Typen in die Quere, weil die Computergewohnheit ganze Wörter schnell schreiben lässt und nicht nur einzelne Buchstaben. Die Bewegungsabläufe sind viel mehr vom Wort oder gar vom Satz her gedacht als bei diesem mechanischen Ding.

Wofür die Schreibmaschinenfetischisten ihre Maschine aber lieben, das ist wohl die Analogität, die Linearität und die Singularität. Denn ja, es ist so etwas richtig Analoges, an dem man die rohe Gewalt ausleben kann (Rohkost soll gesund sein), manchmal spielt die Maschine sogar Gegner: Nämlich dann, wenn man sich die Finger so richtig schön zwischen den Tasten einklemmt.

Aber Konzentration aufs Wesentliche: Kein Schirm, der flackert oder konkurrenzierende Buchstaben in die Augen brennt. Auf dem Schreibtisch steht allein die Schreibmaschine mit eingespanntem Papier und zwingt einen zu Linearität. Nicht dass nicht die Softwareentwickler darauf reagiert und Programme entwickelt hätten, nein, bei der Schreibmaschine schreibt man nur in der einen Linie, in der man eben gerade schreibt. Einfach so kurz ein Wort verschieben oder am Ende einer Zeile weiter oben etwas einfügen, das geht nicht. Es gehört an der Schreibmaschine zur grössten Kunst, wieder auf richtiger Zeilenhöhe einzufädeln, wenn man einmal beschlossen hat zu wechseln.

Statt Softwareupdates gibt es bei der Maschine neue Farbbänder, oder wenn man so ein IBM-Ding mit Kugelkopf ausgesucht hat, auch neue Köpfe mit anderen Schriften. Und Papier, da muss man dauernd updaten, sonst schreibt man Text über Text über Text.

Und zur Singularität? Ja, das ist es: Das Dokument existiert genau ein Mal, nicht in Tausend Ausdrucken. Den Text gibts auf Papier mit dieser Tinte durchs Band aufs Blatt geschlagen. Aber auch da begeistert die Trickkiste: Mit Durchschlagpapier kann man gleichzeitig mehrere Blätter beschreiben.

Linkeria #37: Übersetzen (Woche 30, 2010)

Schreiben in Schwarz
Schreiben in Schwarz
  • Be like the bamboo: 7 lessons from the Japanese forest. Garr Reynolds adaptiert den Bambus auf den Menschen.
  • Strokes of Genius: Aus dem Jahr 2006, aber aktueller denn je. Khoi Vinh macht sich Gedanken über den Computer als Schreibmaschine. Wie muss ein Programm sein, das die Idee  Möglichst-ohne-Ablenkung-schreiben transportiert. Für mehr zu Blockwriter.
  • Was ist die Kunst des Übersetzens? Mehrere Übersetzer beantworten die Frage in diesem Film, ohne das Übersetzergeheimnis abschliessend zu lüften. [via wasmitbuechern]

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Linkeria #34: Konzentriert (Woche 26, 2010)

Le Penseur – (Foto: Mark Paciga)
  • On Distraction: Alain de Botton macht sich Gedanken über die Konzentrationsschwierigkkeit unserer Zeit: «We are continuously challenged to discover new works of culture—and, in the process, we don’t allow any one of them to assume a weight in our minds.» Er plädiert für eine Kopffastenzeit. [via ISO 50 Blog]
  • Reclaiming Attention: David Turnbulls 13-Punkte-Liste, mit der wir unsere Aufmerksamkeit zurückgewinnen.
  • tiny tales: Sehr kurze Geschichten von Florian Meimberg. Kürzlich mit dem Grimme Online Award ausgezeichnet. [via ats20]

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Linkeria #13: Netzkritik (Woche 48, 2009)

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