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Gelesen: Wofür es sich zu leben lohnt

Von Robert Pfaller hörte man in letzter Zeit oft, wenn es um Rauch- oder Minarettverbote ging. Bei Radio Stadtfilter hatte er ein Interview zu diesen Themen, das als Podcast herunterzuladen ist. In seinem Buch «Wofür es sich zu leben lohnt» analysiert er die Tendenzen in der Gesellschaft, die zu solchen Veränderungen führen.

Er spricht von einem Beleuchtungswechsel, der einen Unterschied in der Wahrnehmung provoziert. Zwar hatten die Dinge ihre Schädlichkeit schon bevor sie verboten wurden, die Schädlichkeitsfaktoren werden immer mehr in den Vordergrund gestellt.

In seiner Argumentation scheint Pfaller immer wieder zu kreisen. Immer wieder die gleichen Beispiele bringt er in unterschiedlichen Blickwinkeln, ohne dabei viel Substanz herauszuholen. Fast mantraartig scheint er sich mit dem Rauchen, der Gesundheit und neoliberaler Kosteneffizienz zu wiederholen.

Er zeigt immer wieder, wie die Postmoderne eigentlich genussfeindlich ist und so gar nichts mehr mit der 68er-Bewegung zu tun hat. Wichtig war für mich vor allem das Kapitel, in dem er auch auf die Dialektik der Dinge zu sprechen kommt, denn da zeigt er, dass Verdoppelung ein wichtiger Faktor ist, dass Vernunft nur dann vernünftig ist, wenn sie auch unvernünftig sein kann, dass ein Erwachsener nur dann erwachsen ist, wenn er auch erwachsen Erwachsen ist, also nicht so wie ein Kind erwachsen. Die Doppelung mit Adjektiv scheint ihm der wichtigste Punkt, denn nur so wird Genuss genussvoll, auch schon in der vorangegangenen Argumentation macht sich Pfaller stark dafür, dass Masslosigkeit im Mass gehalten wird oder dass die Vernunft im Zaum gehalten werden muss, damit das Leben lebenswert bleibt.

Eine bereichernde Lektüre.

Pfaller, Robert. Wofür es sich zu leben lohnt. Elemente materialistischer Philosophie. 3. Aufl. Frankfurt am Main: Fischer, 2011.

Schreibmaschinenmenschen

FokussiertDen Fokusmodus habe ich lange vermisst. Erst vor kurzem habe ich ihn auf dem Papier wiedergefunden: Papier schluckt alles und lenkt mit gar nichts ab, wenn noch nichts drauf steht. Im Computer drin gibts so viel Ablenkung: Aufsätze, die noch nicht gelesen sind, Datenbanken, die Abfragen schlucken wollen, das Internet, das Beschäftigung braucht. Die Links sind da, um beklickt zu werden, sonst schöpft man nicht das ganze Lesbarkeitspotenzial aus.

So verrinnt Stunde um Stunde, ganz unproduktiv produktiv genutzt, in denen man schon Texte konstruiert, indem man sie nämlich liest, aber gleichzeitig keine Texte konstruiert, indem man keine schreibt, weil man vor dem Schreiben doch immer noch etwas und noch etwas lesen sollte. So sitzt man dann stundenlang vor dem Schirm, lähmt sich selbst und klagt am Ende über Nackenschmerzen und Müdigkeit, die davon herrührt, dass nichts Lesbares zustande kommt.

Da waren die Schreibmaschinenleute wie gesagt noch produktiver. Ihnen war klar, dass erst etwas auf dem Papier steht, wenn etwas auf dem Papier steht. Nur bei uns steht schon etwas auf dem Schirm, wenn eigentlich und unvoreingenommen besehen noch nichts da steht.

Die Informationsarchitekten haben sich gesagt, dass wir alle wieder Schreibmaschinenleute werden sollen. Sie haben eine Software gebastelt, mit der man alles wegmachen kann, ausser den Text, den man gerade schreiben will. Sie haben sich richtig Mühe gegeben und etwas Tolles geschaffen, mit dem man wieder lineare Texte schreiben kann, die man sich vorher überlegt hat, oder die im Schreiben entstehen, weil schreiben nicht sich ablenken heisst. Fokussiert ist nur der eine Satz, an dem man gerade schreibt, die anderen sind halb weg, nicht dass man immer wieder zurückgeht und ändert und nochmals ändert, bloss weil man das kann.

Entkoppelung

Entkoppeln des Stroms vom VerbrauchEntkoppelung ist das Wort der Stunde. Seit bekannt ist, dass die Schweiz (extrem) langfristig aus dem Atomstrom aussteigen will, überhäufen sich die Berichte in den Zeitungen, wie das zu schaffen sei. Industriezweige, die besonders energiehungrig sind, mobilisieren ihre Lobbys. Fuck you, Papiertiger!

Wir wollen da raus, wir wollen nicht länger das Risiko tragen, das ihr mit dem Atomstrom eingegangen seid. Das Risiko müsstet ihr auch in den Strompreis einrechnen und dann wäre der Strom auch teurer, denn selbst die teuerste Versicherung will den Super-GAU nicht versichern und das heisst etwas, wenn eine Industrie, die sonst alles versichern lässt, was überhaupt geht, etwas nicht versichert.

Sobald die Meiler vom Netz sind, müssen wir weniger Strom brauchen. Und dazu ist Entkoppelung das Wort: Die Preise müssen von der Stromproduktion entkoppelt werden, wie dies in Kalifornien längst der Fall ist. Nicht mehr massiver Stromverbrauch soll günstige Preise machen; gut fahren soll, wer weniger Energie braucht!

Text über Text über Text

Just in der Woche, nachdem die letzte Schreibmaschinenfabrik in Indien schloss, waren wir im Museum. Unglaublich, diese vielen Modelle, die es zu bestaunen gab: Hermes und auch die Baby war da, Kugelköpfe und anderes vormodernes Zeugs. Und ein Mann mit Leidenschaften.

Er veranstalte Wettbewerbe auf mechanischen Schreibmaschinen. Er hat mich eingeladen, da auch mitzumachen, ich hätte ein bisschen Talent, auf diesen alten Dingern schnell zu schreiben. Es klapperte auch, und ich konnte verstehen, weshalb wieder auf Schreibmaschine umsteigt, wer Text in seiner Materialität liebt.

Es klopft, wenn ich auf die Taste haue, der Papierwagen verschiebt sich um einen Buchstaben nach links und sobald ich die Zeile vollgeschrieben habe, muss ich die linke Hand von der Tastatur nehmen, den Zeilenschalter betätigen und den Wagen nach rechts schieben. Eine grandiose Erfindung. Spürst du den Text?

Manchmal aber auch nicht so: Für den computergewandten Schreiber, macht sich doch das mechanische Manko bemerkbar: Immer wieder kommen sich die Typen in die Quere, weil die Computergewohnheit ganze Wörter schnell schreiben lässt und nicht nur einzelne Buchstaben. Die Bewegungsabläufe sind viel mehr vom Wort oder gar vom Satz her gedacht als bei diesem mechanischen Ding.

Wofür die Schreibmaschinenfetischisten ihre Maschine aber lieben, das ist wohl die Analogität, die Linearität und die Singularität. Denn ja, es ist so etwas richtig Analoges, an dem man die rohe Gewalt ausleben kann (Rohkost soll gesund sein), manchmal spielt die Maschine sogar Gegner: Nämlich dann, wenn man sich die Finger so richtig schön zwischen den Tasten einklemmt.

Aber Konzentration aufs Wesentliche: Kein Schirm, der flackert oder konkurrenzierende Buchstaben in die Augen brennt. Auf dem Schreibtisch steht allein die Schreibmaschine mit eingespanntem Papier und zwingt einen zu Linearität. Nicht dass nicht die Softwareentwickler darauf reagiert und Programme entwickelt hätten, nein, bei der Schreibmaschine schreibt man nur in der einen Linie, in der man eben gerade schreibt. Einfach so kurz ein Wort verschieben oder am Ende einer Zeile weiter oben etwas einfügen, das geht nicht. Es gehört an der Schreibmaschine zur grössten Kunst, wieder auf richtiger Zeilenhöhe einzufädeln, wenn man einmal beschlossen hat zu wechseln.

Statt Softwareupdates gibt es bei der Maschine neue Farbbänder, oder wenn man so ein IBM-Ding mit Kugelkopf ausgesucht hat, auch neue Köpfe mit anderen Schriften. Und Papier, da muss man dauernd updaten, sonst schreibt man Text über Text über Text.

Und zur Singularität? Ja, das ist es: Das Dokument existiert genau ein Mal, nicht in Tausend Ausdrucken. Den Text gibts auf Papier mit dieser Tinte durchs Band aufs Blatt geschlagen. Aber auch da begeistert die Trickkiste: Mit Durchschlagpapier kann man gleichzeitig mehrere Blätter beschreiben.

Gelesen: Ein Amateur

Eine Art zeitgenössischer Entwicklungsroman von Walter Kappacher, in dem Simon vom Motorradmechaniker über den Schauspieler und Reiseverkäufer zum Schreiber wird.

Auf einmal fiel ihm auf, daß er schauen konnte, auf zweierlei Art schauen: einfach die Wolken betrachten, wie sie ihre Form verändernd am Himmel vorüberzogen, oder die bewaldeten Hügel, einfach schauen; oder aber im Schauen, während er die Landschaft betrachtete, innerlich ganz andere Bilder entstehen lassen, sie verfolgen. Hier durfte er schauen, es war nicht wie in der Bude, wo er, kaum schaute er einmal aus dem verschmutzten Fenster und dachte an etwas, gescholten wurde: Was ist, Schauer! … Was schaust denn schon wieder, bring mir lieber die Kombizange! … Träumst schon wieder! (74)

Kappacher, Walter. Ein Amateur. Roman. München: dtv, 2011.