Alle Beiträge von Claudio

Gelesen: Fahrenheit 451

Ray Bradburys Dystopie einer Welt ohne Bücher, dafür mit totaler Kontrolle. Die Feuerwehr hat plötzlich nichts Anderes mehr zu tun als Bücherpolizei zu spielen und die Bücher, die noch existieren und die Menschen, die sie besitzen, zu verbrennen und so die Erinnerung auszulöschen.

«Du musst begreifen, bei der Größe unserer Zivilisation kann keinerlei Beunruhigung der Minderheiten geduldet werden. Sag selbst, was ist unser aller Lebensziel? Die Menschen wollen doch glücklich sein, nicht? Hast du je etwas anderes gehört? Ich will glücklich sein, sagt ein jeder. Und ist er es nicht? Sorgen wir nicht ständig für Unterhaltung und Betrieb? Dazu sind wir doch da, nicht? Zum Vergnügen, für den Sinnenkitzel? Und wirst du zugeben, dass daran in unserer Kulturwelt kein Mangel herrscht.»

«Nein» (S. 84–85)

Bradbury, Ray. Fahrenheit 451. Roman. Zürich: Diogenes, 2008.

Gelesen: Im Schaufenster im Frühling

Der erste Roman von Melinda Nadj Abonji, die letztes Jahr den Deutschen und den Schweizer Buchpreis gewann. Sehr berührende bis verstörenden Erzählung von Luisa in einer furiosen poetischen Sprache erzählt.

Die Uhr tickte im Korridor, sonst war alles still. Luisa öffnete die Zimmertür und drückte sich der Wand entlang bis zum Wohnzimmer, der Vater schlief. Seine Hände lagen in seinem Schoß und der Gürtel neben ihm, auf dem Sofa. Die Mutter kam aus der Küche und hielt den Zeigfinger auf die Lippen. Der Vater pfiff leise durch den Mund. Es klang friedlich. (67–68)

Nadj Abonji, Melinda. Im Schaufenster im Frühling. Roman. 2. Aufl. Salzburg/Wien: Jung und Jung, 2011.

Gelesen: Die schwarze Spinne

Die Schullektüre von Gotthelf. Lustig, was man dazu sagen kann, zum Beispiel: «Der Teufel ist ein Macho.»

Als er vom Kilchstalden kam, sah er von dort die Buchen auffahren vom Boden, jede von zwei feurigen Eichhörnchen gezogen, und nebenbei sah er reiten auf schwarzem Bocke einen grünen Mann, eine feurige Geißel hatte er in der Hand, einen feurigen Bart im Gesichte, und auf dem Hute schwankte glutrot eine Feder. (52)

Besonders interessant ist die Lektüre mit einem Fokus auf die Frauenrolle, die in der Erzählung konstruiert wird.

Gotthelf, Jeremias. Die schwarze Spinne. Erzählung. Stuttgart: P. Reclam, 2002.

Handschriften

Zu Handschriften geht eines der Seminare dieses Semesters. Endlich mal lesen lernen! Das ist doch etwas für Literaturwissenschaftler. Und dann immer auch noch ein bisschen versuchen, genetische Rekonstruktionen herzustellen, so richtig handfestes Zeugs mit psychoanalytischem Potenzial.

Aber die Abgründe der Entstehung dieser Handschriften interessieren ja nur die Auditoren, die’s im Seminar nicht gibt. Und weil die Kurrentschrift bei jedem Autor anders aussieht, so war das mit Handschriften eben, lesen wir uns bei verschiedenen ein: Walser, Goethe, Heine.

Das schöne daran: Nach der Knobelei stehen nicht ausgefüllte Kreuzworträtsel oder Sudokus, sondern Texte, an denen wir uns nach dem Entziffern erst recht die Zähne ausbeissen.

Damals nannte man das noch Philologie.

Gelesen: Der Tod des Iwan Iljitsch

«Und nun ließ er in seiner Phantasie die besten Minuten dieses angenehmen Lebens an sich vorüberziehen. Allein, wie sonderbar, all diese besten Minuten angenehmen Lebens schienen jetzt gar nicht mehr das zu sein, was sie ihm vordem gewesen. Alle, alle mit Ausnahme erster Kindheitserinnerungen. Dort, in der fernen Kindheit, lag etwas wahrhaft Angenehmes, mit dem man auch heute noch hätte leben können, wenn es nur wiederkehren wollte. Freilich war der Mensch, dem dieses Angenehme widerfahren, nicht mehr da: es war gleichsam nur die Erinnerung an einen anderen.» (80)

Tolstoj, Leo. Der Tod des Iwan Iljitsch. Erzählung. Stuttgart: Reclam, 1986.