Linkeria ist eine neue Kategorie innerhalb dieses Weblogs: Jeden Samstag 3 Links und Kürzestzusammenfassungen zu interessanten, visionären, relevanten und lesenswerten Texten aus dem Web. Anregungen werden gerne per Mail entgegengenommen: linkeria [affenschwanz] textworker [punkt] ch
Alle Beiträge von Claudio
Herr Salaam
Er beschwört uns mit einem Salaam Aleikum, während er mühsam in den Bus steigt. Ein ältlicher Herr, Bart und lange Hosen, ein Türke nahe zur Grenze von Georgien. Er müsse erst später aussteigen, sagt er zum Busfahrer und seinem Gehilfen, aber wo genau wisse er im Moment nicht mehr.
Der jüngere Herr, anfangs zwanzig, der nach ihm einsteigt und den Platz neben Herrn Salaam einnimmt, zeigt weniger Freude am händeschüttelnden Salaam Aleikum und den herzlichen Augen. Schnell stöpselt er seine Ohren mit Kopfhörern zu, um nur noch Nebensächliches mitzubekommen: Gerüche und Bilder.

Er muss verpassen, was all die anderen von Herrn Salaam haben: Ein Anruf auf seinem Mobiltelefon mit modisch-türkischer Musik und dann ein Geschnatter, dem man leider nicht nachkommt. Dann aber hört man den Ton erneut. Man stellt fest, dass es sich keineswegs um die Musik eines Anrufers handelt: Der liebe Herr hört seine Musik auf seinem Handtelefon an. Mit Lautsprecher, so dass auch die Hinterbänkler etwas von ihm haben, der auf dem vordersten Sitz mitfährt. Der Busfahrer will wissen, an welchem Strassenrand der Herr aussteigen möchte. Allah, Allah, dazu die Musik von vorhin. Ob es da vorne sei? Allah, Allah, der Alte stellt seine Musik lauter, sein Kopf tänzelt dazu und immer noch Allah, Allah.
Die Leute schauen auf ihre Armbanduhren, schütteln den Kopf: Es sei noch nicht die Zeit der Imame. Währenddessen fährt im Fenster das Schwarze Meer vorüber, eine Teefabrik nach der anderen säumt das Ufer dieses Meeres, färben das Meer dunkel. Und endlich: Herr Allah, Allah verabschiedet sich von seinem Nachbarn, klappt sein Handy zu und drückt dem Busfahrer sein Geld in die Finger: Hier möchte ich aussteigen.
Sommerpause
Die schönste Stadt
So gemein aber auch: Im Nachtzug nach Lissabon von Pascal Mercier kommt eine Szene mit Isfahan vor. Der Protagonist hätte nach Isfahan, der angeblich schönsten Stadt der Welt, gehen wollen, um da eine Stelle als Hauslehrer anzutreten. Er hat sich bereits ein Sprachlehrbuch gekauft, das ihm sein Vater bezahlte, aber entschied sich dann doch dagegen.
Das kommt mir wie eine Parallele zu meiner jetztigen Situation vor: Noch vor wenigen Wochen wartete ich aufs Visum. Am Freitag vor den iranischen Wahlen ist es dann gekommen, es sieht ganz schön aus mit diesen Buchstaben drin. Mein erstes Visum überhaupt, im frischen Pass, aber doch auf Seite 9 eingeklebt.
Die Freude war gross, die Reise eigentlich auch schon geplant. Und Isfahan war auch unter den Reisezielen, denn die Bilder sprechen für sich, selbst dann, wenn einem die Leute, die Bücher für die Reisevorbereitung ausgeliehen haben, meinten, dass die Farben in keiner Weise der Realität entsprächen.
Und dann diese Unregelmässigkeiten bei der Wahl, die ja offiziell keine waren. Jetzt wird die Reiseroute wohl oder übel geändert. Selbst wenn noch es noch ein guter Monat bis dahin ist, scheint die Lage noch immer unüberblickbar. Und wenn die politische Lage schon jetzt so instabil ist, soll man ja umplanen. Es gibt schliesslich noch genug andere schöne Flecken in der Welt. Und man kann sich ja die schönste Stadt der Welt auch noch für später aufsparen und währenddessen im Nachtzug nach Lissabon weiterlesen.
Taktile Tage
Da läuft man am Morgen einer Frau hinterher, die ganz – entgegen dem Trend – am Morgen die Natur taktil erfährt: Hier streichelt sie Gras, da sucht sie eine Lindenblüte auf der Strasse zusammen. Und dies während alle anderen ganz tiefsinnig ihre Telefontasten berühren.
Man könnte es auch selbst ausprobieren: Mit der Hand durchs Gras streifen und Telefontasten hinter sich lassen. Aber nein: das löst die Pollen, vor denen man ja in die Stadt geflüchtet ist. Oder Lindenblüten auflesen. Warum denn auch? – Man kann sie auch ganz einfach im Teebeutel bekommen, ohne dafür noch seinen Finger zu rühren.
Am Abend schaut man dann dem neuen Dirigenten zu, wie er seinen Taktstock schwingt, und hört ihn sogar atmen, genauso wie die erste Geige, vor der einem Angst und Bange wird: Beim Abbau der Spannung wirft er mit dem Geigenbogen wild um sich, als ob er das Publikum zur Geige machen wollte.
In der Zwischenzeit berührt man verschiedene Tastaturen, eingebaute, drahtlose, verkabelte und besonders ergonomische, um den letzten Takt des Wochenendes anzugeben, dessen Thema sein soll, dem Ende einen Anfang zu bereiten.

