Archiv der Kategorie: Beobachtet

Kommentare einer Ausstellung (81)

Weisst du, diese Frau war einmal berühmt, aber das ist schon lange her.

Was überhaupt ist denn berühmt?

Weisst du, berühmt ist dann, wenn dich viele Menschen kennen, die du nicht kennst. Und diese Frau war berühmt, weil sie in Filmen mitgemacht hat, deshalb haben die Menschen diese Frau gekannt. Heute haben sie die Leute im Museum eingerahmt und aufgehängt. Ah, und das da nebenan ist Thomas Mann. Er war einmal Schriftsteller, weisst du, der hat ganz viele Bücher geschrieben.

Oh.

Und schau, das sind ganz ganz viele Mannequins.

Das Mädchen schaut ganz verwirrt.

Aber das sind doch Frauen?

Ah, ja. Weisst du, Mannequins sind Frauen, die sich ganz viele Kleider anziehen und sich dann fotografieren lassen. Sie probieren dieses Kleid an, dann machen sie eine Foto, dann noch ein anderes Kleid und wieder eine Foto.

Wow. Dann möchte ich Mannequin werden, wenn ich gross bin. Immer wieder andere Kleider anprobieren und dann eine Foto, stell dir das mal vor! Genau gleich wie diese vielen berühmten Leute. Und dann, wenn man alt ist, kommt man ins Museum und wird neben Schriftstellern, die ganz viele Bücher geschrieben haben, aufgehängt.

Urban density (80)

Die erste Folge von trans2flickr. trans2flickr: Der Versuch, flickr.com Fotos zu lesen. Translationen und Transformationen von Bildern in Sprache, von Bildern in Sprachgebilde. Ein Ausloten von Mediengrenzen.
Ein kleiner Vogel soll es gezeichnet haben, sagt das Bild. Ein klitzekleines, der grossen Welt angehörendes Spätzchen, das den Frühling von den Dächern pfeifen würde, wenn es denn schon Zeit dazu wäre.

Der Text zum Bild

Aber der Frühling lässt noch auf sich warten, wie das Bild vermuten lässt. Häuser, lauter Häuser sind zu sehen. Und dies nicht etwa frühlingshaft gekleidet.

Der Meinung des kleinen Vögelchens mit dem roten Herzen nach sollten die Häuser ihre urbane Identität nicht verstecken. Aber sie können auch gar nicht, denn sie sind es ja, die der Stadt ihren urbanen Charakter verleihen. Die Häuser kümmert das nicht.

Andere Häuser aber stehen nicht so charakterlos da. Sie stehen da schon seit langer Zeit, die einen schon seit hunderten von Jahren, die anderen erst neu zum Klub hinzugekommen. An den Häusern geht die Spur der Zeit einfach so vorbei; sie brauchen sich nicht einmal darum zu kümmern.

Wenn das Vögelchen, das dieses Bild gemalt hat, ein bisschen genauer hingesehen hätte, wäre ihm aufgefallen, dass nicht alle so spurlos dastehen: Sie beherbergen den Puls der Zeit, deren Strömungen und Richtungen, den Geist der Zeit, aber auch den Zeitgeist und demonstrieren ihre Beschaffenheit.
Kulturdenkmäler mit Kreuzen in den Scheiben, ehrwürdige Rundbauten, ein Gebäude am anderen, Tür an Tor, das Mittelalter und die Moderne.

Alles kommt da zusammen, auch das, was das Spätzchen nicht sehen kann: Das Spätzchen selbst, das liebend gern schon den Frühling von den Dächern pfeifen würde; die Mauer, die den Frühling schon gar nicht mehr hören können, weil sie schon so viele Male nach den langen Wintern vom Frühling getäuscht wurden und jedes Jahr die Enttäuschung von neuem hinnehmen müssen.

Mit dem Frühling müssen sie sich nicht beschäftigen, denn die kleinen Vögelchen sagen es ihnen, wenn die Zeit gekommen ist.

Das Bild zum Text

Welches Flickr-Bildchen gehört dazu?

Farbe verbindet (76)

Sie fordert auf, Farbe zu bekennen. Dabei geht es darum, Geschmack zu zeigen. Auf eine farbige Schweiz, setzen intelligente Leute mit schwarzen Lettern. Fertig mit Schwarz-Weiss-Klischierung. Das Papier bekennt Farbe. Aber nicht roter Grund und weisses Symbol. Färblein, wir brauchen Färblein.

Logo-Anpassungen verhelfen den verbindenden Firmen zu einem farbigeren Image. Farbverläufe sind plötzlich in! Farben überall, wie Gummibälle in den Strassen. Wie Meerestiere auf der Shopping-Tour, einfach farbiger.

Beim Shoppen helfen noch andere. Notenbanken pumpen Milliarden ins System. Scheine fast wie eine Wiese im Frühling mit Krokussen, Narzissen. Nördlich der Gallia Cisalpina. Narzisstischer als Narziss. Und farbiger als Narzissen.

Es blüht schön, immer schöner. Die Blüten wandern akzeptiert, von Narziss zu Narziss. Zu viel Pump. Noch mehr Blut auf der Bank. Fertig, Millizsystem, wo ist die Farbe? Zu kreativ, nicht geladen? Fertig Schnee, die Grenzlinien sind aufgehoben.

Wir warten auf Zeus, mit Europa. Offene Arme statt Farbkessel.

Bücher aus Abfall (71)

Aus Abfall kann nicht nur eine ganze Armee im Sinne eines Kunstwerkes bzw. mehrerer Aktionen entstehen, auch Bücher sollen aus Abfall entstehen.

Kathrin Schadt hat bei der Zeit eine lesenswerte Reportage veröffentlicht, die beschreibt, wie in Buenos Aires Bücher in Handarbeit entstehen. Viele Cartoneros arbeiten im Projekt Eloísa Cartonera mit. Und es entstehen äusserst bunte, bisweilen auch individuelle Buchumschläge.

Der Kleinverlag druckt ihre eigenen Anthologien und veröffentlicht die Avantgarde der lateinamerikanischen Literatur. Interessante Zusammenstellungen: Poesie und Kurzprosa, was den Literaten eben gerade einfällt.

So schnell werden diese Bücher wohl nicht wieder zu Abfall. Die Bücher sind schon Kunstwerk genug, dass sie nicht wiederverwertet werden brauchen.

(Kunstwerke aus Büchern: via siebensachen)

Weihnachten, weisse (68)

Die Wettervorhersagen für dieses Weihnachtsfest lassen den Verdacht auf eine realitätsfremde Sprache erhärten. Weshalb konserviert die Sprache mit dem stehenden Begriff der «weissen Weihnachten» eine Realität, die längst nur mehr Wunschvorstellung oder gelebte Fiktion ist
Warum finde ich im Duden nicht Folgendes:

Weihnachten, weisse: die; -; veraltend für durch Schnee geprägte Weihnachten, nur noch in Alpen- oder Industriegebieten gebräuchlich.

So oder ähnlich nämlich könnte man sich einen Eintrag im Wörterbuch vorstellen. Dies aber nur, wenn man den Vorhersehungskünstlern im Fernsehen (oder andernorts) Glauben schenkt. Schliesslich sollen die Weihnachten dieses Jahr in den meisten Gebieten nicht mehr weiss werden. Wenn man seine Siebensachen packt, kann man dennoch Schnee sehen.

Falls Weihnachten mit echtem Schnee tatsächlich ein Auslaufmodell sein sollten, kann man sich immer noch mit künstlichem Schnee beliefern lassen. Der Vorteil liegt auf der Hand: Herr Bucheli kann dann am TV-Gerät erzählen, was er will, die Weihnachten werden trotzdem weiss. Der Kreativität sind keine Grenzen gesetzt. Nur eines darf nicht passieren: Weihnachten nicht weiss oder der Stempel veraltend im Duden.