Archiv der Kategorie: Gedanken

Handpuppenlachen

Mit der Lektüre von Jonathan Safran Foers Eating Animals kommen einem die eigenen Tiergeschichten in den Sinn.[1]

Wir lachten über die Handpuppe, weil sie sagte, die Milch komme von der Kuh oder vom Bauernhof und nicht aus dem Laden. Wir haben so gelacht, weil wir gleichzeitig die weidenden Kühe gesehen haben.

Natürlich auch, weil wir die Erfahrungen vom Arbeiten auf dem Bauernhof gemacht haben. Die haben es da schon schön, haben wir damals gedacht, die Tiere. Die bekommen jeden Tag frisches Stroh eingestreut. Die kleinsten bekommen Milch, die grösseren eine Mischung, die man extra für sie herstellt. Wie spannend das war, auf dem Futtermischwagen mitzufahren: Da stellten wir ein für welche Box Futter gemischt werden soll. Dann fuhren wir zum Grassilo, wo es immer so eigenartig roch und wo es diese Gefahrentafeln gab. Dazu kam dann Mais, dann irgendein Pulver, Ersatz für irgendetwas, von dem wir nicht so genau wussten, was es eigentlich war.

Sobald die Ladung das Gewicht erreichte, piepste es. Dann begann die Mischerei. Alles musste eine Weile gemischt werden, damit es gleichmässig verteilt war, wie man ein Müesli beim Frühstück mischt. Wir fuhren dann mit der Maschine in den Stall hoch fuhren zur Box, die wir zuvor eingestellt hatten. Alle Boxen lagen an einer Reihe, die schwersten Munis kamen zuerst, die leichtesten zuletzt. Wir fuhren mit diesem Wägelchen hinein und entluden es. Wir beneideten die Tiere nicht, wie sie den ganzen Tag in dieser Box und auf dem kleinen Platz da draussen herumstehen müssen, bis sie ihr Wunschgewicht erreicht haben.

Wir freuten uns über die Schweinchen, die sich am Schulweg im Dreck suhlten. Manchmal wollten wir tauschen: Löcher graben, sich einbuddeln und den ganzen Tag faulenzen. Das kleine Schweinchenparadies. Nur wenn sie wieder auf die Waage mussten, fuhren wir schnell am Gehege vorbei. Da quietschten sie so unangenehm. Und wir waren so unheimlich aufgeregt. Wenn wir wieder am Gehege vorbeikamen, hatten alle farbige Markierungen. Nicht alle die gleichen: Die einen hatten einen gelben Strich, andere einen schwarzen. Und wenn wir dann nochmals an ihnen vorbeifuhren, waren sie weg.

Den Bezug zur Milch machten wir. Die kommt aus den Kühen raus, damit sie ihre Kälber tränken können. So wie uns erzählt wird, hätten wir von der Mutter getrunken. Darum lachten wir auch so, als sich die Bauchrednerpuppe über die Stadtkinder lustig machte, die nichts davon wissen sollen, was Milch ist. Sie haben doch auch mal so getrunken. Dass diese Kühe jedes Jahr ein Kalb gebären müssen, wussten aber auch wir nicht. Wir wussten nicht, dass Milch nicht einfach so fliesst, sondern etwas mit Hormonen zu tun hat. Oder wohin die Schweinchen fuhren, wenn sie plötzlich nicht mehr da waren. Oder was mit den Munis passierte, wenn sie verladen wurden.

 


[1] Safran Foer, Jonathan: Eating Animals. 2010.

Bibliothekstypen

In letzter Zeit bin ich oft in Bibliotheken. Die Angestellten haben alle ihre eigenen Eigenschaften: Sie hören in Magazin unter dem Boden Musik, wundern sich über Besucher, die ihre Jacke übergezogen behalten, bedanken sich für Meldungen, wundern sich über die Ignoranz ihrer Besucher. Und sie sind vor allem resistent gegen den Geruch der Bücher. Mit einem gewissen Alter entwickeln die Bücher nämlich ein Eigenleben. Das lässt einen die Finger jucken, sodass man die Texte ganz schnell einscannt, den Papierstaub vom Glas wischt und die Bücher zurückbringt.

Wenn ich in einer Bibliothek arbeiten würde, würde ich mit Listen auseinandersetzen. Ich würde mir anschauen, welche Bücher jemand ausgeliehen hat. Ich würde mir die Kombinationen von Büchern anschauen. Hinter jeder Liste ein Mensch. Ganz diskret würde ich dann wissen, dass jemand sich intensiv mit Metaphern auseinandersetzt. Aus den Listen würden Figuren entstehen, die ich mir ausserhalb der Bibliothek vorstellen würde, wie sie ihre Büchersäcke nach Hause oder in ihr Büro schleppen. Wie sie sich über die Bücher beugen oder ob sie sie in eine Ecke stellen, um sie ungelesen wieder zurückzubringen.

Sähe ich jemanden wieder, würde ich mich freuen: Das ist der Metaphernjunkie, das die Barockmystikerin, der Filmexperte, die Psychoanalytikerin, der Bachtinleser, die Theologin, der Eichendorffliebhaber, der Bernhardkenner, die Gärtnerin, der Paradiesler, der Realist, die Lexikografin, die Handschriftenfanatikerin, die Naturwissenschaftlerin, der Ökonom. Sie wären da und gleich wieder weg, mit diesem Strahlen auf dem Gesicht, wenn sie etwas gefunden haben. Und mit der frustrierten Haltung, wenn sie Bücher schleppen und wieder zurückbringen.

Computer und kognitive Beglückung

«Die Computer tun nichts anderes, als mit der menschlichen Faszination der Suche zu spielen, mal zu ihrem Vorteil, mal zu ihrem Verderben. Aber Glücksbotenstoffe wie Dopamin werden nicht nur durch googeln freigesetzt; jeder, der einen Gedanken oder eine Lösung gefunden hat, ein Kunstwerk geschaffen oder eine Erkenntnis verinnerlicht hat, kennt das ‹Heureka› kognitiver Beglückung.»(S. 209)

Schirrmacher, Frank. Payback: Warum wir im Informationszeitalter gezwungen sind zu tun, was wir nicht tun wollen, und wie wir die Kontrolle über unser Denken zurückgewinnen. 1. Aufl. Karl Blessing Verlag, 2009.

Workflows

Man kann sich gut und lange überlegen, mit welchen Programmen man arbeitet. Man kann sich noch viel besser und viel länger überlegen, mit welchen Geräten man arbeitet. Aber am besten überlegt man sich so lange die beiden ersten Dinge, dass man gar nicht dazu kommt überhaupt etwas zu machen.

Gewisse Dinge muss man dann einfach machen (zum Beispiel ein iPad kaufen). Dann findet man es ganz toll, so ein Teil zu besitzen. Dann liest man irgendwo, dass es vielleicht doch nicht so toll ist, weil man da sehr gebunden ist an das, was einem für das Gerät angeboten wird. Und dann zeigt man seiner Liebsten, wie viel Elektroschrott man da so auftürmen kann auf dem Tisch. Da schreibt man Essays über Bachtin oder Humboldt darauf. In der Bibliothek sieht man aber all die mit ihren riesigen Macbook Pros, so ohne glänzigen Schirm. Und plötzlich kommt einem die Idee wieder: Viel besser wäre ein Gerät für alles.

Aber meine lieben Kinder, das gibt’s nicht. Einfach war wohl gestern. Und deshalb bringts auch gar nichts, sich tausend Mal zu überlegen, was man eigentlich hätte tun sollen. Denn das Pad ist schon gekauft, und es ist unglaublich leicht und mit externer Tastatur sehr gut zu betippen (übrigens auch ohne).

Und schliesslich kommt’s auf die Workflows an, die man sich für die Geräte zusammenschustert. Und für all die Programme und Apps. Und das hiesse dann: Schreiben mit dem iPad, auszeichnen mit Formatvorlagen in Word, aber heiss gestrickt und dann einmal in Tustep reinlassen und schön ist. Oder: Feeds mit dem Google Reader lesen und weiterempfehlen auf den Social Networks. Oder Bücher kaufen, ISBN-Nummern mit Zotero erfassen und erst dann ins Büchergestell legen.

20120119-233646.jpg