Archiv der Kategorie: Gedanken

Wordeln für bessere Texte

Wordle macht schöne Tag-Clouds. Es fasst mit seinen Wolken aber auch wichtige bzw. häufige Begriffe aus Texten heraus und stellt sie visuell dar. Das habe ich mit dem Stechlin etwa gemacht, der so unglaublich überblickbar wirkt. Nach diesem Wordle kommen die Wörter ja oder immer relativ häufig vor.

Der Stechlin dargestellt von Wordle

Dies brachte mich auf die Idee, Seminararbeiten zur Überabeitung zu wordeln: Ich kopierte den gesamten Text einer Seminarbeit in Wordle hinein, das mir dann schnell sehr häufige Wörter zeigte. Interessanterweise war es nicht Terminologie, die gehäuft vorkam, sondern Wörter wie zeigen oder sich zeigen.

Mit dieser Liste häufig vorkommender Wörtern lässt sich nun gut nach dem Stilprinzip variatio delectat vorgehen. Die sehr häufig vorkommenden Wörter sucht man in der Textverarbeitung und markiert sie farblich oder typografisch. Ausgedruckt (aber auch am Bildschirm) eruiert man dann die Häufungen, erschrickt über sich selbst und die eigene Schreibe. In einem zweiten Schritt lassen sich meistens treffendere Wörter finden, viele lassen sich aber auch einfach streichen.

«Er ist wieder so, wie er war, vor langer Zeit, der schwarze Panther.»

Aus seinem Verlag sind viele Bücher in meinem Gestell. Ein Porträt von Daniel Keel liest sich im Archiv der Zeit. Viele grossartige Leseerfahrungen wären ohne ihn nicht möglich geworden. Das Parfum von Patrik Süskind etwa, Der Besuch der alten Dame neben anderen Dürrenmatts, War meine Zeit meine Zeit von Loetscher, die Reihe wäre noch unendlich fortzusetzen. Denkt man.

Jetzt lebt sein Verlag ohne ihn weiter. Daniel Keel ist heute mit 80 Jahren gestorben, mit ihm ein grosser Literat.

Schreibmaschinenmenschen

FokussiertDen Fokusmodus habe ich lange vermisst. Erst vor kurzem habe ich ihn auf dem Papier wiedergefunden: Papier schluckt alles und lenkt mit gar nichts ab, wenn noch nichts drauf steht. Im Computer drin gibts so viel Ablenkung: Aufsätze, die noch nicht gelesen sind, Datenbanken, die Abfragen schlucken wollen, das Internet, das Beschäftigung braucht. Die Links sind da, um beklickt zu werden, sonst schöpft man nicht das ganze Lesbarkeitspotenzial aus.

So verrinnt Stunde um Stunde, ganz unproduktiv produktiv genutzt, in denen man schon Texte konstruiert, indem man sie nämlich liest, aber gleichzeitig keine Texte konstruiert, indem man keine schreibt, weil man vor dem Schreiben doch immer noch etwas und noch etwas lesen sollte. So sitzt man dann stundenlang vor dem Schirm, lähmt sich selbst und klagt am Ende über Nackenschmerzen und Müdigkeit, die davon herrührt, dass nichts Lesbares zustande kommt.

Da waren die Schreibmaschinenleute wie gesagt noch produktiver. Ihnen war klar, dass erst etwas auf dem Papier steht, wenn etwas auf dem Papier steht. Nur bei uns steht schon etwas auf dem Schirm, wenn eigentlich und unvoreingenommen besehen noch nichts da steht.

Die Informationsarchitekten haben sich gesagt, dass wir alle wieder Schreibmaschinenleute werden sollen. Sie haben eine Software gebastelt, mit der man alles wegmachen kann, ausser den Text, den man gerade schreiben will. Sie haben sich richtig Mühe gegeben und etwas Tolles geschaffen, mit dem man wieder lineare Texte schreiben kann, die man sich vorher überlegt hat, oder die im Schreiben entstehen, weil schreiben nicht sich ablenken heisst. Fokussiert ist nur der eine Satz, an dem man gerade schreibt, die anderen sind halb weg, nicht dass man immer wieder zurückgeht und ändert und nochmals ändert, bloss weil man das kann.

Entkoppelung

Entkoppeln des Stroms vom VerbrauchEntkoppelung ist das Wort der Stunde. Seit bekannt ist, dass die Schweiz (extrem) langfristig aus dem Atomstrom aussteigen will, überhäufen sich die Berichte in den Zeitungen, wie das zu schaffen sei. Industriezweige, die besonders energiehungrig sind, mobilisieren ihre Lobbys. Fuck you, Papiertiger!

Wir wollen da raus, wir wollen nicht länger das Risiko tragen, das ihr mit dem Atomstrom eingegangen seid. Das Risiko müsstet ihr auch in den Strompreis einrechnen und dann wäre der Strom auch teurer, denn selbst die teuerste Versicherung will den Super-GAU nicht versichern und das heisst etwas, wenn eine Industrie, die sonst alles versichern lässt, was überhaupt geht, etwas nicht versichert.

Sobald die Meiler vom Netz sind, müssen wir weniger Strom brauchen. Und dazu ist Entkoppelung das Wort: Die Preise müssen von der Stromproduktion entkoppelt werden, wie dies in Kalifornien längst der Fall ist. Nicht mehr massiver Stromverbrauch soll günstige Preise machen; gut fahren soll, wer weniger Energie braucht!

Gelesen: Im Schaufenster im Frühling

Der erste Roman von Melinda Nadj Abonji, die letztes Jahr den Deutschen und den Schweizer Buchpreis gewann. Sehr berührende bis verstörenden Erzählung von Luisa in einer furiosen poetischen Sprache erzählt.

Die Uhr tickte im Korridor, sonst war alles still. Luisa öffnete die Zimmertür und drückte sich der Wand entlang bis zum Wohnzimmer, der Vater schlief. Seine Hände lagen in seinem Schoß und der Gürtel neben ihm, auf dem Sofa. Die Mutter kam aus der Küche und hielt den Zeigfinger auf die Lippen. Der Vater pfiff leise durch den Mund. Es klang friedlich. (67–68)

Nadj Abonji, Melinda. Im Schaufenster im Frühling. Roman. 2. Aufl. Salzburg/Wien: Jung und Jung, 2011.