Archiv der Kategorie: Gelesen

Krieg gegen sich selbst?

Ob Grossbritannien Krieg gegen sich selbst führe, fragt A. L. Kennedy pointiert. Dass es sich um einen geistigen Krieg handeln muss, der sich gegen den Abbau von Zugängen zur Kultur richtet und zur Wehr setzt, wird schnell klar.

Die Frankfurter Allgemeine Zeitung nennt A. L. Kennedy, die soeben den 1. Internationalen Eifel-Literaturpreis entgegennehmen konnte, eine der wichtigsten Autorinnen der Gegenwart. Wenn ihre Bücher auch so reflektiert sind wie die Dankesrede für den Preis (die ich zu lesen jedem ans Herz lege!), scheint dies tatsächlich der Fall zu sein.

Ganz im Gegensatz zu meinem Entwurf der idealen Bibliothek, die im Wabenmuster aufgebaut ist, konstatiert die Literatin Erschreckendes: «Wir haben unser Bibliothekswesen zerstört, wir haben unsere eigenen Bücher entfernt, Gebäude geschlossen und Öffnungszeiten reduziert. Wir verbrennen keine Bücher, das nicht, aber wir lassen sie still und leise verschwinden.»

In Grossbritannien ist mit dem Wegfall der Buchpreisbindung auch im Buchhandel ein riesigies Problem entstanden, wie mir meine Buchhändlerin erklärte. Zwei Jahre nach der Aufhebung der Buchpreisbindung habe man noch nicht viel davon gespürt, aber jetzt, wo auch die Supermärkte eingestiegen sind, verdrängten Bestseller immer mehr die Auswahl vom Markt.

Eine Situation, die nicht wirklich einleuchten mag, denn gerade der Wettbewerb sollte doch, so das Wort der neoliberalen Wunderheiler der Marktwirtschaft, auch für mehr Vielfalt sorgen.

A. L. Kennedy bezieht auch klare Position zu diesem Thema, viel mehr aber betont sie auch, «dass Lesen etwas in sich hat, was, wie ich sagen würde, von Natur aus gut ist.» Ob Lesen gut oder schlecht ist, sei dahingestellt. Vielmehr bleibt darauf hinzuweisen, dass in der Schweiz die Buchpreisbindung im August zur Debatte stehen wird. Die Schweizer Buchhändler und Verleger versuchen momentan ihr Bestes dafür, damit sich die Buchvielfalt bewahren lässt. Bis zum August, wo definitiv entschieden werden wird, ob die Buchpreisbindung bleibt oder nicht, bleibt nur zu lesen.

Einige weiterführende Links zum Thema:

  1. Arbeitszimmer von A. L. Kennedy (sieht ein bisschen aus wie eine psychoanalytische Praxis)
  2. A. L. Kennedys Homepage
  3. Gekürzte Fassung der Dankensrede bei der FAZ
  4. Buchvielfalt bewahren.

Die Seele ist…

Im Tösser Schwesternbuch soeben auf ein besonders schönes Zitat gestossen:

Die sel ist ain als gar gaistlich ding das man sy ze enkainen liplichen dingen aigenlich gelichen mag. Doch won du sin als ser begerest, so gib ich dir ain gelichus, by der du ain wenig verston macht wie ir form und ir gestalt was. Sy was ain sinwel schoenes und durchlúchtendes liecht, gelich der sunnen, und was ainer goltfarwen roeti, und was das selb liecht so gar unmas schoen und wunnenklich das ich es zuo núti gelichen kan. Won werint alle sternen die an dem himel stond, als gross und als schoen als die sunn, und glastind die alle in ain: der glantz aller moechte sich nit gelichen der schonhaitdie an miner sel was und dunkt mich das ain glantz von mir gieng der alle die welt erluchte, und ain wunneklicher tag wurde úber alles ertrich, und in disem liecht, das min sel was, sach ich Got wunneklich lúchten, als ain schoenes liecht lúchtet usser ainer schoene lúchtenden lucernen, und sach das er sich als ineklich und als guetlich zuo miner sel fuogt das er recht geainbart ward mit ir und sy mit im.[…]»

(Stagel, Elsbet: Das Leben der Schwestern zu Töß, hrsg. Ferdinand Vetter, 1906, S. 57–58.)

Wie gesagt, eine ganz schöne Beschreibung, die im Mittelalter entstanden ist. Vor allem natürlich auch, wenn man diese Vorstellung des Seelenlebens mit der heutigen, seelenlosen Vorstellung des Lebens vergleicht. Im Rahmen der Psychologie wird der Psyche (griech. ψυχή, heisst ebenfalls Seele), bloss noch die Funktion beigemessen, Probleme zu bereiten.

Es werden Medikamente entwickelt, die das Seelenleben, hier befindet man sich auf terminologischem Glatteis, wenn man nicht vom Psychenleben spricht, auf einen normalen Zustand eindämmt. Die Lösung aller Probleme: eine Pille mehr für das tägliche Leben schaltet die Seele aus. Die Seele passt nämlich nicht ins Konzept der Naturwissenschaften: Ein Relikt der mytholigschen Art, die Welt zu beschreiben, mit bösen Ritualen, für welche man einen Menschen heute für verrückt erklären würde.

Welches ist die richtigere Art der Beschreibung der Welt? Gibt es eine Weltformel, die alle Probleme der Menschheit löst? Oder sind es vielmehr Geschichten, die uns das Leben auf dem blauen Planeten plausibel erklären? Kann der Nicht-Spezialist die Weltformel verstehen? Oder wird es, falls es die Weltformel dann geben sollte nur noch Spezialisten geben – die Evolution löst ja schliesslich alle Probleme?

Schreibtische, an denen das Web 2.0 entsteht

Nicht nur traditionelle Schreibtischtäter wie die Schriftsteller brauchen eine tolle Ausstattung, damit sie zu kreativer Höchstform anlaufen, auch das Web 2.0 entsteht wohl grösstenteils am Schreibtisch und nicht in den digitalen Kommunen selbst.

Wer denkt, junge Firmen könnten sich keine guten Ausstattungen leisten, sondern würden sich in Papas Garage einmieten, irrt sich bei den Web 2.0 Giganten. Von den Möbeln über die Computerausstattung – viele Web 2.0-Buden können sich sehen lassen, wenn denn die Fotos, die im Netz herumschwirren auch authentisch sind.

Ein Blick auf uaddit enthüllt das Geheimnis von vielen Zwo-Nullern: Vielleicht steckt hinter den Bildern auch die Erklärung für die Funktionsweise der Web-Applikationen? – Oder auch nur ein Wink dafür, wie ein Büro aussehen muss, damit man innovative Ideen bekommt?

(via D-Blog)

Für und wider den Gottesdienst (82)

Einen schönen Text kann man in der heutigen Ausgabe des Stadtblatts lesen. Die Pfarrerin Ruth Näf Bernhard zeigt Gründe dafür auf, sonntags nicht in die Kirche zu gehen.

Im gleichen Atemzug nennt die Pfarrerin aber auch Beweggründe für den sonntäglichen Kirchengang, obwohl sie am heutigen Sonntag selbst nicht in die Kirche gehen wird, sondern die Sportferien geniessen will.

In jedem Gottesdienst besteht die Möglichkeit, dass etwas Unerwartetes mit mir passiert. Drinnen-Sein kann Draussen-Sein verändern.

Mit diesen schönen Worten weckt die Pfarrerin die Neugierde am Gottesdienst. Die Kraft der Veränderung soll den Menschen dazu bewegen, in die Kirche zu gehen und die feierliche Stimmung in den Sonntag mitzunehmen.

Der Artikel im Stadtblatt kann auch online gelesen werden, denn seit das Stadtblatt die erste Gratis-Sonntagszeitung ist, erscheint die ganze Ausgabe als PDF. Wer also keinen Briefkasten in Winterthur stehen hat, kann trotzdem in den Genuss von reflektierten Texten kommen, wie man es von Gratiszeitungen gar nicht gewohnt ist.