Urban density (80)

Die erste Folge von trans2flickr. trans2flickr: Der Versuch, flickr.com Fotos zu lesen. Translationen und Transformationen von Bildern in Sprache, von Bildern in Sprachgebilde. Ein Ausloten von Mediengrenzen.
Ein kleiner Vogel soll es gezeichnet haben, sagt das Bild. Ein klitzekleines, der grossen Welt angehörendes Spätzchen, das den Frühling von den Dächern pfeifen würde, wenn es denn schon Zeit dazu wäre.

Der Text zum Bild

Aber der Frühling lässt noch auf sich warten, wie das Bild vermuten lässt. Häuser, lauter Häuser sind zu sehen. Und dies nicht etwa frühlingshaft gekleidet.

Der Meinung des kleinen Vögelchens mit dem roten Herzen nach sollten die Häuser ihre urbane Identität nicht verstecken. Aber sie können auch gar nicht, denn sie sind es ja, die der Stadt ihren urbanen Charakter verleihen. Die Häuser kümmert das nicht.

Andere Häuser aber stehen nicht so charakterlos da. Sie stehen da schon seit langer Zeit, die einen schon seit hunderten von Jahren, die anderen erst neu zum Klub hinzugekommen. An den Häusern geht die Spur der Zeit einfach so vorbei; sie brauchen sich nicht einmal darum zu kümmern.

Wenn das Vögelchen, das dieses Bild gemalt hat, ein bisschen genauer hingesehen hätte, wäre ihm aufgefallen, dass nicht alle so spurlos dastehen: Sie beherbergen den Puls der Zeit, deren Strömungen und Richtungen, den Geist der Zeit, aber auch den Zeitgeist und demonstrieren ihre Beschaffenheit.
Kulturdenkmäler mit Kreuzen in den Scheiben, ehrwürdige Rundbauten, ein Gebäude am anderen, Tür an Tor, das Mittelalter und die Moderne.

Alles kommt da zusammen, auch das, was das Spätzchen nicht sehen kann: Das Spätzchen selbst, das liebend gern schon den Frühling von den Dächern pfeifen würde; die Mauer, die den Frühling schon gar nicht mehr hören können, weil sie schon so viele Male nach den langen Wintern vom Frühling getäuscht wurden und jedes Jahr die Enttäuschung von neuem hinnehmen müssen.

Mit dem Frühling müssen sie sich nicht beschäftigen, denn die kleinen Vögelchen sagen es ihnen, wenn die Zeit gekommen ist.

Das Bild zum Text

Welches Flickr-Bildchen gehört dazu?

Aber der Zug rollt doch noch (79)

Heute am Bahnhof: Es herrscht eine riesige Aufregung. Nein, diesmal nicht, weil der Strom ausgefallen wäre (wie am Tag zuvor), sondern – was einem Pendler oder einer Pendlerin gar nicht als bemerkenswert auffallen
würde – weil sich der Zug noch im Rollen befindet, währenddem sich die Türen öffnen.

Das Gespräch – leider nicht O-Ton, sondern ein aus dem Gedächtnis rekonstruiertes Transkript. Ich weiss, dass ich mich damit in Teufels Küche begebe, denn kein Gedächtnis kann ein Gespräch so gut in Erinnerung behalten, dass es dem tatsächlichen Gespräch entspricht; dies sei mir hier aber verziehen. Abgesehen vom inhaltlichen Dilemma der Gesprächswiedergabe stellt sich auch eine sprachliche Schwierigkeit: Meine Erinnerungen sind in einem Zürcher-Dialekt, obwohl sich die beiden Gesprächspartner in einem Thurgauer-Dialekt unterhielten.

Aber auch das wollen wir hier als Nebensache behandeln. Ausschlaggebend, auch für diesen Blog-Beitrag, ist das Faktum, dass das Gespräch etwas Alltägliches zum Extraordinären macht. Der Alltag wird dadurch spannender, nachdenklicher und bestimmt auch lebenswerter, denn «normal» geglaubte Strukturen werden aufgebrochen und hinterfragt.

Mädchen: Aber dä fahrt ja no.

Mutter: Ja, das schtimmt.

Mädchen: Dä Maa isch abär vorhär uusgschtigä und dä Zug isch no gfahrä.

Mutter: Aber nur ganz langsam, das isch dänn nid so schlimm.

Mädchen: Aber jetzt hät är ganz aghalte. Jetzt chömmer usschtige.

Dies der Kommentar einer jungen Zugfahrerin und ihrer Mutter, als die S8 aus der Richtung Frauenfeld kommend, bevor sie ausstieg und der Beobachter dieser Begebenheit sehnsüchtig darauf wartete, endlich aufs Trittbrett aufzuspringen.

Leider nicht ganz so spektakulär wie die Brüder in Indien auf den Darjeeling Limited aufgesprungen sind, dafür aber für eine umso kürzere Bahnfahrt, die ausser einigen «gut» riechenden Mitfahrenden, und dies sogar im Winter!, nicht wahnsinnig Spektakuläres oder Sinnliches zu Tage gefördert hat.

Seelese und Mammut (78)

Einmal die Zeit der Lektüre auf dem Zürisee zu verbringen ist eigentlich schon seit dem Anfang meines Studiums vor nun schon bald drei Semestern geplant. Ich stellte es mir unglaublich abwechslungsreich vor, einmal auf dem See zu lesen statt immer an Land. Das ZVV-Verbundsabo hätte es sogar erlaubt, ohne zusätzliche Kosten auf dem Zürisee eine Runde zu drehen und in fremde Welten einzutauchen. Jetzt kommt aber schon der zweite Winter und meine Füsse haben immer noch nicht auf einem Kursschiff am Zürisee gestanden. Eine ernüchternde Zwischenbilanz.

Dafür aber brachte mich ein Segelkurs des akademischen Sportvereins Zürich aufs Wasser (und ab und zu auch ziemlich unfreiwillig ins Wasser!). Das hektische Führen eines Katamarans erlaubte allerdings nicht, sich auf dem Boot in die Lektüre zu vertiefen, sondern    verlangte Konzentration auf Wasser, Wind und die ziemlich heimtückischen Wenden, die manchmal auch in einer Halse und im schlimmsten Fall im Kentern endete. Schon am ersten Tag wäre das Buch nass geworden. Da blieb einem nichts anderes übriges als die Lektüre auf der Strandliege zu bevorzugen.

Dass ich es erst vor kurzem endlich einmal ins Zoologische Museum der Universität Zürich geschafft habe, um zu erfahren, dass das vermeintliche Mammut nur ein Riesenfaultier ist, macht mich schon fast ein wenig stolz. Aber auch das Hochgefühl des Stolzes will hier relativiert sein, denn ganz ohne die Überredungskünste der Teilnehmer in meinem Tutorat wäre es wohl nicht so schnell gegangen, bis ich einen Tritt in die Heimat der ausgestopften Tiere gewagt hätte.
An irgendeinem schönen Sommertag werde ich es aber wohl doch noch schaffen, auf ein Schiff am Zürisee zu klettern.

Am besten wäre wohl der Termin der zweiten Jungfernfahrt der Panta Rhei, denn es wäre sowohl für den lesenden Passagier als auch für das Schiff zum zweiten Mal Premiere auf dem Zürisee.

Blogger lesen kein Papier (77)

Bis jetzt haben sich erst zwei Blogger an der Blogparade zur Lektüre auf dem Nachttisch beteiligt. An was mag das liegen? – Eine allgemeine Abneigung von Bloggern gegenüber Blogparaden? – Das wohl eher weniger, wer auf slug.ch nur schon das Wort «Blogparade» eintippt, findet am 17. Januar 2008 über 180 Beiträge, die etwas mit Blogparaden zu tun haben.

Lesen Blogger gar nicht?

Der Hund liegt wohl an einem anderen Ort begraben, aber wo denn bloss? Ist es so, dass Blogger – weil sie zu viel schreiben – schlichtwegs keine Zeit zum Lesen aufbringen können? Auch daran kann es wohl nicht unbedingt liegen, denn viele Leute bloggen über das, was sie gerade im Internet gelesen haben.

Amazon trägt Schuld

Wie wir unlängst lesen konnten, wird Papier vom Amazon Kindle zurückgedrängt, einem Gerät, das sich anscheinend gut zum Lesen ab Bildschirm eignet. Nicht nur scheint das Ding viel leichter zu sein als wenn man sich tonnenweise Papier in den Koffer packen müsste, er verdrängt gleichzeitig den Bücherberg vom Nachttischchen.

Wer dennoch – wie Goggi oder André – noch Bücher auf dem Nachttisch hat, kann sich ja noch bis zum 29. Februar an der Blogparade beteiligen.

Farbe verbindet (76)

Sie fordert auf, Farbe zu bekennen. Dabei geht es darum, Geschmack zu zeigen. Auf eine farbige Schweiz, setzen intelligente Leute mit schwarzen Lettern. Fertig mit Schwarz-Weiss-Klischierung. Das Papier bekennt Farbe. Aber nicht roter Grund und weisses Symbol. Färblein, wir brauchen Färblein.

Logo-Anpassungen verhelfen den verbindenden Firmen zu einem farbigeren Image. Farbverläufe sind plötzlich in! Farben überall, wie Gummibälle in den Strassen. Wie Meerestiere auf der Shopping-Tour, einfach farbiger.

Beim Shoppen helfen noch andere. Notenbanken pumpen Milliarden ins System. Scheine fast wie eine Wiese im Frühling mit Krokussen, Narzissen. Nördlich der Gallia Cisalpina. Narzisstischer als Narziss. Und farbiger als Narzissen.

Es blüht schön, immer schöner. Die Blüten wandern akzeptiert, von Narziss zu Narziss. Zu viel Pump. Noch mehr Blut auf der Bank. Fertig, Millizsystem, wo ist die Farbe? Zu kreativ, nicht geladen? Fertig Schnee, die Grenzlinien sind aufgehoben.

Wir warten auf Zeus, mit Europa. Offene Arme statt Farbkessel.