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Die Stadt am Fluss

Städte an Flüssen sind anders als Städte, die nicht an Flüssen sind. Sie schmiegen sich in den Lauf des Flusses ein, der Alltag in solchen Städten versteht, dass ein Fluss nie derselbe Fluss sein kann. In solchen Städten erfasst man das Phänomen Zeit besser, weil man gleichsam mit dem Wasser die Zeit verrinnen sieht, fast so, wie wenn man dem Zeiger einer Uhr zuschauen würde, wie er beständig weiter will.

An gewissen Tagen sind in den Städten andere Flüsse zu Gast, das Tempo wird von aussen bestimmt: Züge aus allen Ländern, die man kennt, kommen an, jeder in seiner Geschwindigkeit, in seinem Rhythmus. Aus mysteriösen Zügen steigen Menschen, die sich alltäglich mit anderen Flüssen beschäftigen, und sich damit auskennen. Sie geben den Ortsansässigen Gastspiele, helfen dabei, die Moldau tausende von Kilometern weit zu transportieren. Sie helfen der Moldau dahin, wo sie aus eigener Kraft gar nie hingekommen wäre.

Dann kennen die Menschen in der Stadt plötzlich einen neuen Fluss, der den Staub aufwirbelt und Trommelfelle zum vibrieren bringt, lässt sie mit anderen Füssen durch die Stadt gehen und sie darüber nachdenken, was wäre, wenn der Fluss sich nicht so sorgfältig in die Stadt eingebettet hätte. Oder auch darüber, was wäre, wenn die Menschen aus den anderen Ländern einen Fluss mitgebracht hätten, der nicht in die Landschaft passt.

Dabei erinnern sie sich daran, dass an jenem Abend auch die Moldau  Anlaufschwierigkeiten hatten: Bis sich die Flöten und Geigen einig waren, in welcher Taktung sie den Fluss gehen lassen wollten. Dann aber, gelenkt durch die Ortskundigen fand man Wege, die – aus dem Applaus zu schliessen – lieber nie geendet hätten. Irgendwann sind alle Wasser vorüber.

Städte, Länder, Flüsse.

Waiting for Visa

Was gibt es Schöneres als Ferien zu planen? Reiseführer durchblättern, Orte auf Landkarten heraussuchen, Telefone machen und bei Bekannten, die schon im Nahen Osten waren, um Tipps fragen. Kurz nach der Abstimmung zu den neuen Pässen mit biometrischen Daten habe ich mir noch einen alten zugelegt; es wäre ja schade, den biometrischen Pass zu schreddern, wegen des Stempels, auf den ich warte.

Während des Wartens kann man ganz schön Zeitung lesen, die Wahlen verfolgen und hoffen, dass der Richtige fürs Land gewinnen wird. Man kann sich weiterhin Luftschlösser bauen oder schon einmal Zugfahrkarten bis nach Wien besorgen, wo man dann weiter nach Budapest, Belgrad und Istanbul weiterziehen möchte, um dem Ziel, Teheran, näher zu kommen. Zug um Zug.

In der Zwischenzeit muss man sich aber noch ein wenig in Geduld üben, wozu man aber kaum Zeit findet, weil noch Klausuren vorbereitet, Arbeiten an- und fertiggedacht werden wollen. Schon wieder ein Semester vorbei, schneller noch als die anderen, obwohl es zuerst gar nicht richtig starten wollte.

Metronom

Lesen hat viel mit Rhythmus zu tun: Die Augen schweben vom Rhythmus der Silben erfasst über die Wörter im Text. Auch Schreiben hat viel mit Rhythmus zu tun: Ist man nicht richtig rhythmisiert, so schärfte uns die Schreibmaschinenlehrerin ein, wollen die Anschläge nicht richtig gelingen.

Irgendwann setzt man sich gegen die Vorschläge seiner Lehrer durch, merkt, dass man viel schneller schreiben kann, wenn man nach Adler-Prinzip Buchstaben tippt also mit dem vorgeschlagenen System, das so gar nichts Freiheitliches an sich hat.

Für die Prüfung muss man sich dann doch ein Tempo angewöhnen und das erst noch mit zehn Fingern, damit man eine anständige Anzahl (z.B. 238) von Anschlägen in der Minute in die Maschine hämmern kann. Das Ziel natürlich immer vor Augen, die Schreiblehrerin zu übertrumpfen, die gern vordemonstriert, was sie auf dem Kasten [sic!] hat, während wir ab Band tippen: «Auf den Strich und zurück, auf den Strich und zurück». (Sie sei übrigens froh gebe es dieses neue Computer-Programm mit der wunderbar übertriebenen Intonation. In der Ausbildung hätte sie nämlich nächtelang geübt: «Auf den Strich und zurück, auf den Strich und zurück.»)

Und dann muss man wieder einmal lesen und tippen, wie es sich manchmal gehört. Gerade weil man viel über Erinnerung liest und schreibt, kommen einem die taktvollen Stunden in den Sinn und stellt fest, dass man mit einem Galeerenimitat tatsächlich rhytmischer lesen und schreiben könnte.

Stadtreinigung

Ob man es glaubt oder nicht, Städte werden gereinigt und gefegt. Nicht nur mit Wischfahrzeugen oder anderem Gefährt. Schläuche werden ausgelegt, in Gullis runtergelassen und wieder heraufgezogen. Während sie heraufkommen, sucht sich das Abwasser Wege. Es flieht vor dem Strahl sauberen Wassers, der hinterhereilt und in seiner Eile den Blütenstaub mit sich reisst.

Selbst der Himmel hilft mit: Von oben kommt Wasser, das die Zeitungen am Kiosk reinwäscht: Auch da wird der Zauber der Blüten abgewaschen. Die Allergiker, die sich eines der Exemplare reinziehen wollen, danken es vielleicht. Möglicherweise werden auch die Schreckensnachrichten durch das saure Wasser ein wenig süsser.

Manchmal riecht es von Desinfektionsmittel, an der Stelle, an der normalerweise ausgeleerter Alkohol verdunstet, Hunde herumtoben und Menschen in lebhafte Diskussionen um Zehnrappenstücke entbrennen. Es riecht dann so, wie wenn man sich nach dem Hallenbad die Füsse vollsprüht, damit keine Pilze spriessen.

An solchen Tagen ist das Pennerbänklein auch leer.