«Eine Niederlage für das Web» (91)

Textworker: Was haben Sie das Gefühl, weshalb der erste BlogBattle stattgefunden hat? – Ihre Prognose war ja, dass die anderen Blogger nicht in den schweissigen Ring steigen werden. Wie können Sie sich mit Ihrer jahrelangen Erfahrung dermassen irren?Strategieberater: Schauen Sie, das ist doch ganz einfach. Die jungen Leute sehen das Leben nicht mehr mit dem gebührenden Ernst an. Die Menschen meinen, ihre Handlungen hätten keinen Einfluss auf irgendetwas. Wissen Sie, mein Kind, die Leute meinen, Ihre Statements in den Blogs würden keine Menschen erreichen. Das ist ja die grösste Niederlage des Webs.

Textworker: Das haben Sie jetzt ja schön widerlegt, aber wie können Sie sich so sehr geirrt haben?

Strategieberater: Wie kommen Sie darauf, dass ich mich geirrt haben sollte? Die Strategie war schon von Anfang an so ausgelegt. Ich habe bei Ihnen nur nicht mit offenen Karten gespielt. Ich habe es schon längst vorausgesehen, dass die anderen Blogger der Sache nicht mit genügend Ernst gegenüber treten und das Konzept der Ehre als kleines Spässchen niederreden. Da haben Sie ja gerade den Spiegel der Gesellschaft! Es geht darum, möglichst viel spassige Stunden einzusammeln, Unterhaltung um jeden Preis. Im Web sollte es auch anders gehen.

Textworker: Vielen Dank für Ihr exklusives Interview. Wenn ich das richtig verstanden habe, war die Niederlage Plan der ganzen Aktion.

Strategieberater: Ich danke Ihnen, Sie haben richtig verstanden, mein Sohn.

#3: Tönen, solange man kann (90)

Die Tonbezeichnung a oder A, wie schön. Auf der Blockflöte ganz einfach zu realisieren: Zeige- und Mittelfinger der linken Hand verschliessen die obersten Löcher; der Daumen zusätzlich noch das untere Loch, wenn jemand eine bessere Bezeichnung als Loch weiss, bitte ergänzen!

Aa Dass schon der dritte Beitrag etwas vulgär wird, hätte sich der Wörterbuchleser nicht gewünscht, es lässt sich aber nicht verhindern, denn Wörterbücher sind nun mal alphabetisch aufgebaut. In der Kindersprache macht man nämlich Aa (in der Schweiz wohl eher Gagi, eine Onomatopoesie ist das wohl nicht), wusste ich selbst noch nicht, dabei hätte man die ersten paar Einträge eines Wörterbuchs ruhig mal lesen können, unglaublich, dass man das nicht macht.

Oft werden aber auch Flüsse Aa genannnt, aber auch kleinere Gerinnsel wie Bäche.

Wenn das ganze gross geschrieben wird (also AA), haben wir es mit dem Auswärtigen Amt oder den Anonymen Alkoholikern zu tun. Dass man da beim Wörterbuchlesen gewisse Verbindungen herstellt, die man nirgendwo sonst so eindeutig sehen würde, ist wohl kein Problem…

#2: Zeichen und Abkürzungen (89)

Ein unverzichtbares Zeichen hat auch im Duden einen Eintrag bekommen: Das @. Lateinlehrer erklären jeweils stolz, dass das Zeichen aus dem lateinischen ad hervorgebracht worde sei, ob an der Legende etwas ist? Nachvollziehbar wäre es schon, denn wenn man nur genug willig ist, das a und das d darin zu sehen, sieht man es wohl auch.

a. soll eine Abkürzung von Ortsnamen sein, beispielsweise Frankfurt a. Main. Dabei fällt mir auf, dass ich die Stadt unbedingt mal besuchen müsste, damit ich die Bedeutung des a. richtig merken könnte. Bei Affoltern am Albis ist das genauso, aber Frankfurt klingt irgendwie wichtiger als Stadt und dem schönen Fluss.

a. soll aber gleichermassen auch die Abkürzung von lateinisch anno (domini) sein oder Altbundesrat. Wenn man die blochersche Jahreszählung einführen wollte und mit dem Abtreten des Bundesrates verbinden wollte, wäre 2008 das anno Blocheris 1, aber nur nicht anfangen, zu spitzfindig zu werden, schon gar nicht am Anfang dieses Blogs.

#1: Aller Anfang begint bei A (88)

Das Lesen des Wörterbuchs beginnt mit aA. Lauter unverständlicher Abkürzungen mit a. Einerseits Ar; Atto, was soll das bloss sein? Dann a als Abkürzung für a-Moll, wie schön! a-Moll, so spielt man Abbas Money, Money, Money, das muss ja eine gute Abkürzung sein. Dann kommt A, der Grossbuchstabe, gefolgt von Ä, nicht weiter interessant. Dass auch das griechische Alphabet mit einem ähnlichen Buchstaben beginnt interessiert da auch nur diejenigen, die sich mit mehreren Alphabeten auskennen.
Viel schöner ist das Französische à, was man gleich darauf folgend lesen kann. Da kann man sich vorstellen, dass man bei Kuchenbacken ist, sogar noch um diese späte Zeit. Ich möchte am liebsten einen, der à la française ist, passt doch so gut zum Wort.
Was aber mit dem Å, also Ångström sein soll, weiss niemand so genau, wichtig ist einfach, dass es im Wörterbuch seinen Platz hat, denn sonst könnte ja noch jemand auf die Idee kommen, es gäbe kein Ångström, dabei ist es doch für Physiker eine Grösse, die wahnsinnig wichtig zu sein scheint.

Im Namen der Ehre (87)

Eigentlich müsste man meinen, dass das Konzept der «Ehre» in einer zivilisierten Gesellschaft keine Rolle mehr spielen sollte. Aber wer meint denn schon? Institutionen im Rechtsstaat übernehmen diejenigen Aufgaben, Lösungen zwischen Konfliktparteien zu suchen, die zuvor in selbstgerechten Auseinandersetzungen ausgetragen wurden. Aber wie war das nochmals mit der Gleichzeitigkeit von Ungleichzeitigem?

Die Bedingung dafür (für die Abschaffung der Ehre) – das versteht sich von selbst – sind allerdings gut funktionierende Institutionen, die in Streitfällen vermitteln können und in einem besonders prekären Fall sogar die Hoheit dazu haben, Urteile zu sprechen, die von einer Kontrollinstanz überwacht werden. Eine Ordnung von Institutionen, die über sich selbst wachen und die Prinzipien von Rufmord oder Ehrenduellen für eine selbstgerechte Lösung idealerweise nicht kennen. Die Ehre wird aus dem Konzept gestrichen, was zählt sind Rechte und Pflichten, die ein jeder wahrnehmen kann, darf und muss.

Zumindest aus dem Bereich der Literatur kennen wir Beispiele genug. Nehmen wir doch gerade die Marquise von O… von Heinrich von Kleist. Eine verwitwete Marquise, die zu ihren Eltern zurückkehrt und da – wegen einem Krieg von den feindlichen Soldaten vergewaltigt wird, von einem edlen Grafen gerettet wird und weiterhin bei den Eltern lebt, bis sich eines Tages herausstellt, dass sie schwanger ist. Die Ehre der Tochter ist dahin, weil sie ein uneheliches Kind bekommen soll und wird von der Familie verstossen, um die Ehre der Familie nicht zu belasten.

Leider gehören solche Ehrverletzungen immer noch nicht der Vergangenheit an. Amerikanische Truppen sorgen mit Herzblut dafür, dass nicht nur deren Doxa verbreitet wird, sondern auch amerikanisches Blut in den Adern der nächsten Generation des gegnerischen Staates fliesst.

So war dies der Fall im Vietnamkrieg, wie man in einer amerikanischen Weltgeschichte der Vergewaltigung in der Zeit 1976 lesen konnte. (Heute kann man dank geöffneter Archive dieses Dokument auch wieder lesen.)

Dagegen bestätigt ein Veteran des Vietnamkrieges, was Beobachtern aus aller Welt seit langem klar war: „Vergewaltigung war ,pretty SOP'“ — zu deutsch: war so ziemlich an der Tagesordnung. Tausende, wahrscheinlich Hunderttausende vietnamesischer Frauen wurden während des schmutzigen Krieges vergewaltigt.

(Quelle: Die Zeit, 1976)

Wohl auch, um die Ehrenhaftigkeit der amerikanischen Soldaten hochzuheben und untereinander zu batteln, wer denn der ehrenhaftere Newcomer unter den GIs sei.

Wenn ihr schon daran seid, das Internet aufzuräumen, sollte man bei der Ehre anfangen und nicht bei irgendwelchen Fotos. Deshalb mein Aufruf: Bleibt fern von solchem Blogbattle-Zeugs, die Ehre gehört abgeschafft, liebe Blognewcomer. Lanu wollte uns alle aus dem Paradies verführen, das wir vor Mittwoch noch haben können.

In diesem Sinne: Ich steige nicht in den Ring, schon gar nicht im Jahr der Eh(U)RO.