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Lesende Emanzipation

Ich lese gerade einige interessante Ansätze, über die ich noch schreiben muss: Da ist einmal der Thoughtful Reader als ein Modell eines Lesers, das weit in die Konzeption eines Lesers hineingeht und den Lektüreprozess zu einem aktiven Prozess umgestaltet, einen Nutzen daraus ziehen möchte, dass der Leser aktiv am (wenn auch nur mentalen) Text mitarbeitet.

Dann sind da noch Jacques Rancières Lektionen über die intellektuelle Emanzipation. Sie inspirieren mich aufs Äusserste, weil sie ebenfalls die Aktivität der Schülerin in den Fokus rückt, indem sie nicht Subjekt einer Unterweisung ist, sondern die Intelligenz nutzen soll, um zu lernen.

Beide Texte legen den Fokus auf den Prozess des Lesens bzw. Lernens, der Erkenntnisse bringen soll, Aspekte, die mir während des vergangenen Jahres viel wichtiger geworden sind, mir aber – wie ich jetzt retrospektiv bemerke – für mein eigenes Lernen und meine Arbeit mit Texten immer wichtig waren: Immer war es mir wichtig, emanzipiert und eigen mit Texten oder Gelerntem umzugehen, nicht bloss etwas wiederzukauen, was andere über Texte bereits gesagt hatten. Aber natürlich gehört es dazu, das bereits Gesagte zur Kenntnis zu nehmen und in eigene Gedanken zu integrieren.

Das verband ich auch immer mit digitalen Lernumgebungen: Sie sollten dazu dienen, mir die Bibliotheken der Welt auf den Schreibtisch bringen, mir dabei helfen, mich Gedanken hinzugeben und etwas weiterzudenken. Das hat nichts mit Lernplattformen zu tun, sondern damit, für mich Gedanken festzuhalten, sie in mein Denken zu integrieren und festzuhalten. Und wie ich merke, hat das mehr mit dem Modell der Bibliothek im Wabenmuster, wie ich sie mir vor mehr als zehn Jahren hier bereits einmal vorgestellt hatte, zu tun, als mit vielen anderen Denkfiguren, die ich in der Zwischenzeit dafür zurechtgelegt hatte.

Jacques Rancière: Der unwissende Lehrmeister. Fünf Lektionen über die intellektuelle Emanzipation, hg. v. Peter Engelmann. Wien 3., verbesserte Aufl. 2018 (Passagen Forum), übers. v. Richard Steurer-Boulard.

Wandern, didaktisch

Da lerne ich etwas über die Wanderungen der Daniter, die in Richter 18 beschrieben werden, kann es mir nie richtig merken, da bietet mir eine Appenzellerin die Eselsbrücke vom wandernden Jogurt im Alpstein an. Ich stelle mir vor, Jogurt im ganzen Alpstein, darf das Jogurt das? Oder verbieten die Appenzeller das schon bald? Jedenfalls ist mir das seither geblieben, dass bei dieser Stelle gewandert wird und wenn ich mich nicht daran erinnere, wer da wandert, erinnere ich mich an den Grosskonzern mit den Jogurts, die mich dann an Frankreich und Ferien erinnern.

Das ist bestimmt besser als das mit dem Herrn Rübezahl, der mal meine Eselsbrücke war: Da ging es in der Chemie darum, analytische Prinzipien besser zu verstehen. Die haben ja ganz viele Elemente herausgefunden, die dann in einem Periodensystem zusammengefasst wurden. Ich habe mir dann vorgestellt, dass Herr Rübezahl im Chemiezimmer sei, der alles, was darin ist, zerschneidet und so die Elemente findet. Dumm ist dann nur, wenn man sich die Eselsbrücke zu bildlich vorstellt und einem statt dem, wohin die Brücke eigentlich hätte führen sollen nur noch die Brücke sieht und das dann auf den Zettel schreibt. Drum schreib ich das mit den Jogurts jetzt hin, weil ich es dann schon einmal aufgeschrieben habe und ich dann nicht Gefahr laufe, das nochmals aufzuschreiben… Der Chemiker hat das Ganze mit Humor genommen, ein Altachtundsechziger mit einer Uhr der sozialdemokratischen Partei und kommentiert, er hätte selten so gelacht und fürs Lachen einen Punkt verteilt.

Und wenn wir es gerade von Eselsbrücken haben: Bei 1 Sam 10 kommt Saul und die Eselinnen vor. Irgendwie ist das alles ziemlich miteinander verflochten.

Ah ja, und weshalb ich das Ganze eigentlich angefangen zu schreiben habe: Rumwandern beim Lernen ist eine tolle Sache, mit der Bewegung kommen die Dinge einfacher in den Kopf rein. Frau C. meinte, das sei ja logisch, wir hätten ja auch von dieser tollen didaktischen Errungenschaft des Wanderdiktats oder Wanderwerkstattarbeit profitiert. Und man sitzt vor allem nicht die ganze Zeit auf dem immer unbequemer werdenden Stuhl, auf dem man schon seit vier Wochen sitzt, um ihn für einen Tag auszutauschen mit einem Stuhl, auf dem man noch nie zuvor gesessen hat, um Zettel entgegenzunehmen, auf denen Fragen stehen, um zu schauen, ob das, was man während der letzten vier Wochen gemacht hat, irgendeinen Nutzen hatte.

Und dann, ja dann endlich kann das neue Semester beginnen. Mit Computerphilologie, Spätrealismus und Spanien.

Linkeria #29: Das Leben ist ein Spiel (Woche 12, 2010)

  • Kindergarten Is the Model for Lifelong Learning: Mitchel Resnick über den Kindergarten als Modell fürs Lernen. Warum Schulen kindergartiger werden müssen, damit sie aus Schülern Lerner machen: «Underlying traditional kindergarten activities is a spiraling learning process in which children imagine what they want to do, create a project based on their ideas (using blocks, finger paint, or other materials), play with their creations, share their ideas and creations with others, and reflect on their experiences — all of which leads them to imagine new ideas and new projects.»
  • The secret to great work is great play: Warum wir bei der Arbeit das Spiel nicht vergessen dürfen. Garr Reynolds, der Präsentationsspezialist, erklärt den Zusammenhang zwischen Kreativität und Spiel.
  • Rauchzeichen aus Solothurn: Peter Bichsel im Gespräch mit Julian Schütt. Geburtstagsrückblick auf ein Leben.

Jeden Samstag 3 Links und Kürzestzusammenfassungen zu interessanten, visionären, relevanten und lesenswerten Texten aus dem Web. Anregungen werden gerne per Mail entgegengenommen: linkeria [affenschwanz] textworker [punkt] ch