Die Seele ist…

Im Tösser Schwesternbuch soeben auf ein besonders schönes Zitat gestossen:

Die sel ist ain als gar gaistlich ding das man sy ze enkainen liplichen dingen aigenlich gelichen mag. Doch won du sin als ser begerest, so gib ich dir ain gelichus, by der du ain wenig verston macht wie ir form und ir gestalt was. Sy was ain sinwel schoenes und durchlúchtendes liecht, gelich der sunnen, und was ainer goltfarwen roeti, und was das selb liecht so gar unmas schoen und wunnenklich das ich es zuo núti gelichen kan. Won werint alle sternen die an dem himel stond, als gross und als schoen als die sunn, und glastind die alle in ain: der glantz aller moechte sich nit gelichen der schonhaitdie an miner sel was und dunkt mich das ain glantz von mir gieng der alle die welt erluchte, und ain wunneklicher tag wurde úber alles ertrich, und in disem liecht, das min sel was, sach ich Got wunneklich lúchten, als ain schoenes liecht lúchtet usser ainer schoene lúchtenden lucernen, und sach das er sich als ineklich und als guetlich zuo miner sel fuogt das er recht geainbart ward mit ir und sy mit im.[…]»

(Stagel, Elsbet: Das Leben der Schwestern zu Töß, hrsg. Ferdinand Vetter, 1906, S. 57–58.)

Wie gesagt, eine ganz schöne Beschreibung, die im Mittelalter entstanden ist. Vor allem natürlich auch, wenn man diese Vorstellung des Seelenlebens mit der heutigen, seelenlosen Vorstellung des Lebens vergleicht. Im Rahmen der Psychologie wird der Psyche (griech. ψυχή, heisst ebenfalls Seele), bloss noch die Funktion beigemessen, Probleme zu bereiten.

Es werden Medikamente entwickelt, die das Seelenleben, hier befindet man sich auf terminologischem Glatteis, wenn man nicht vom Psychenleben spricht, auf einen normalen Zustand eindämmt. Die Lösung aller Probleme: eine Pille mehr für das tägliche Leben schaltet die Seele aus. Die Seele passt nämlich nicht ins Konzept der Naturwissenschaften: Ein Relikt der mytholigschen Art, die Welt zu beschreiben, mit bösen Ritualen, für welche man einen Menschen heute für verrückt erklären würde.

Welches ist die richtigere Art der Beschreibung der Welt? Gibt es eine Weltformel, die alle Probleme der Menschheit löst? Oder sind es vielmehr Geschichten, die uns das Leben auf dem blauen Planeten plausibel erklären? Kann der Nicht-Spezialist die Weltformel verstehen? Oder wird es, falls es die Weltformel dann geben sollte nur noch Spezialisten geben – die Evolution löst ja schliesslich alle Probleme?

Ferngesteuert von Ausserirdischen (128)

Von Glück kann reden, wer des Nachts einen guten Schlaf findet. Nicht jeder findet gleich einfach den Schlaf, wird gestört durch Geräusche von der Aussenwelt oder sonstwie. Anscheinend gibt es auch die andere Sorte: diejenigen, die sich gar nicht beirren lassen wollen, selbst dann nicht, wenn Ausserirdische die Kontrolle über einen ergreifen.

Als heissen Tipp habe ich diese Woche den Pixar Film Lifted empfohlen bekommen. Ein Kurzfilm, der sich in der Tube anschauen lässt. Wie so oft bei den Pixar-Kurzfilmen muss man einfach lachen. Ich erinnere mich an den Film mit den liebenswürdigen Greisen, die Schach spielen. Ob es den auch in der Tube gibt (Hinweise hierzu werden dankend angenommen!)?

Wer virtuos mit Schaltbrettern umzugehen weiss, hat grosse Chancen, im nächsten Leben als Ausserirdischer auf die Welt zu kommen. Vielleicht kann er dann den Menschen das ein oder andere zurückzahlen, was sie ihm angetan…

Was Wiki weiss (127)

Auseinandersetzungen mit Namen können erhellend sein. Mit wem teilt man seinen Namen? Wer hört auf die gleiche Lautkombination wie man selbst? Manchmal sind Namen ab dem ersten Moment verbindend, weil man sich merken kann, zu welchem Gesicht der eigene Name auch noch gehört.

Narzisstisch veranlagt wie man ist, möchte man Bilder ansehen, die den eigenen Namen tragen. Manchmal tippt man den eigenen Namen, so peinlich wie es scheinen mag in die Maschine ein. Man tippt in eine Maschine, die alles zu wissen scheint, den eigenen Namen zu kennen vorgibt und einem den Spiegel der eigenen Identität vorhält.

Bei Wiki lernt man beispielsweise, dass unter dem eigenen Vornamen auch noch unzählige Mitglieder der Claudier gemeint waren, marginalisiert den Eindruck, einen eigenständigen Namen zu haben. Auch die Listung von Bischöfen oder gar römischen Kaisern.

Die deutsche Übersetzung des lateinischen Adjektivs claudius anschaunend, bringt Dinge ans Tageslicht, die man nie entdeckt hätte, wenn es die liebe Wiki nicht gegeben hätte: Ein Hinkender oder Lahmer sei man und erst noch ein Verschlossener. Ich bin schon fast daran, ins Wasser zu fallen, das mir Spiegel ist. Vielleicht wäre Konzentration auf sich selbst viel besser als sich einen Spiegel vorzuhalten, der demokratisch zusammengesetzt eine Meinung zu einem Namen zeigt, der zwar für die eigene Identität wichtig, aber nicht bezeichnend zu sein scheint.

Manchmal wird man gegrüsst mit Namen, die nicht die offiziellen sind und ist damit vielleicht besser bedient. Und noch besser ist man bedient, wenn man nicht dauernd das Gefühl hat, man müsse bei sozialen Netzwerken seine Identität aufpolieren. Viel besser, wenn man erst gar keine zweite Identität hat. Eine reicht im Normalfall aus, wird sogar als Normalfall angesehen.

In eigener Sache: Neue Kleider für den Frühling (126)

Die Leserinnen und Leser, die auf dieser Seite vorbeischauen, bekommen die Inhalte in einem neuen Kleid präsentiert. Wie man sich für den Frühling frische Kleider sucht, damit die wärmeren Temperaturen einem gut bekommen, hat dieser Blog neue Kleider gesucht – und beim upstartblogger gefunden. Zum Glück, darf man meinen, denn seit Gottfried Keller machen ja Kleider schliesslich Leute (und in diesem Sinne Designs auch Blogs).

Wer die ganze Geschichte von Gottfried Keller lesen mag, kann sich die aktuelle Ausgabe des Kulturmagazins  «Du» kaufen. Die komplette Erzählung ist eben darin abgedruckt und ist komplettiert mit anderen Beiträgen zum Thema «Das Kleid».

Wer lieber am Bildschirm liest, kann die neu edierte (historisch-kritische) Fassung von «Kleider machen Leute» auch parallel mit Kommentar im Internet bestaunen.

Wir Leser (125)

Wir tun es jeden Tag, nehmen dabei nicht einmal mehr war, was wir tun: Wir lesen Buchstaben, reihen Wörter, Phrasen und Sätze aneinander und wundern uns nicht einmal darüber, warum eigentlich? Sie tun es in eben diesem Moment auch.

Sobald der Sprung einmal geschafft ist, lesen wir ohne Mühe. Es ist vom Sprung der Alphabetisierung die Rede, die einem so viele Tore öffnet, die ganze Welten entstehen lässt, wenn man den Schilderungen erfahrener Leser, die vom Glück erzählen, das sie erleben, seit sie lesen, Glauben schenkt.

Dass der Weg zu diesem Glück nicht ganz so einfach ist, erleben immer wieder Menschen, denen das Geheimnis hinter den Buchstaben verschlossen bleibt, weil sie nicht in genügendem Mass an die Schriftkultur gewöhnt wurden. Ein schwieriges Befangen, denn wie soll man sich in einem Datendschungel wie dem Internet zurechtfinden können, wenn man nicht die Macht über die Zeichen inne hat?

Wenn wir uns zurückerinnern, ganz gleich, nach was für einem System man auch immer an die Buchstaben gewöhnt worden sein mag, musste man eine Verbindung zwischen dem abstrakten Bildchen und dem Laut, der dahinter stecken soll, herstellen. Dass hinter einem A auch tatsächlich der Buchstabe des Affen stehen soll und nicht derjenige des Nilpferds. Im Schulzimmer war – so entnehme ich es meiner Erinnerung – oben an der Wandtafel ein Alphabet abgebildet, das waren diese komischen Bildchen, und unterhalb ein Bildchen von einem Äffchen oder sonst bekannten Gegenstand.

Wir vertrauten der Lehrerin, und liessen uns in diese geheimnisverheissende Welt einführen, die uns einen Schritt näher zu den Erwachsenen bringen würde. Wir schrieben uns die Finger wund, bis wir die Buchstaben in perfekter Form vor uns stehen sahen. Dann sollten wir uns auch merken, welcher Laut dazu gehörte.

Aber bei dem, was das Lesen ist, waren wir da noch nicht angekommen, denn was nützt es, wenn man die einzelnen Buchstaben schreiben und erkennen kann? Ein Buchstabe kommt nämlich äusserst selten allein. Lautes Vorlesen wurde deshalb auch immer wieder geübt. Nicht so, dass wir zuerst leise vorbuchstabieren sollten, sondern gerade beim ersten Mal laut vorlesen! Damit man sich in der Schule nicht blamierte vor denen, die sowieso schon seit dem Kindergarten den Weg in die Schrift gefunden hatten, las man zu Hause umso mehr.

Laut vorlesend und über die Ohren das aufnehmend, was auf dem Blatt stand, konnte man einen Sinn sich erschliessen aus dem, was man da vor sich hin buchstabierte. Aber das klang so fremd, denn wo sprach man denn so, wie man las? Das, was uns als «Hochdeutsch» verkauft wurde, ein zusätzliches Mysterium, brachte uns in zusätzliche Schwierigkeiten, aber machte das Lesen wohl noch spannender.

Wenn man heute versuchen würde, Buchstaben nicht zu lesen, sondern sie bloss als Bild anzusehen, den Wörtern nicht zu folgen, sondern eine abstrakte Bildkomposition darin zu sehen, muss man dies zuerst erlernen. Buchstaben nicht mehr lesen zu können, wenn man einmal in das Geheimnis der Buchstabenkrämerei eingeführt wurde, soll fast unmöglich sein. Vielleicht ein so schwieriger Weg wie das Erlernen des Lesens selbst.