Lesen und Glück (55)

Mit einer Glosse zum Lesen und dem Glück behelligt uns Ulrich Greiner diese Woche. Er fragt, ob lesen glücklich machen könne.

Lesen ist, wie die Fähigkeit, Rad zu fahren oder den Computer zu benutzen, eine Kulturtechnik, man muss sie beherrschen, um in dieser Gesellschaft überleben zu können. Mit Glück hat sie nichts zu tun, eher im Gegenteil: Das dauerhafte, wahrhafte Glück besteht wahrscheinlich in der vollendeten Dummheit.

(Quelle: Zeit.de)

Recht muss der Mann wohl haben, Gesellschaft kann wohl wirklich etwas mit dem Gegenteil von Glück zu tun haben. Aber ist Glück im Grunde genommen überhaupt etwas Dauerhaftes? Von Wahrhaftigkeit wagt wohl auch sonst niemand zu sprechen, wenn es um Glück geht. Zu sprunghaft ist das Glücksgefühl. Zu abhängig von äusseren Umständen. Vielleicht auch von der Gesellschaft. Oder der Konstruktion von Gesellschaft, die wir herstellen.

Vielleicht bin ich auch auf das Pronomen reingefallen. Ist die Kulturtechnik angesprochen, wenn Greiner seinen Diskurs über Dummheit und Glück startet? Ist das Nichtbeherrschen einer Kulturtechnik unter vielen gleichzusetzen mit Dummheit? Wie misst man Dummheit?

Vor allem aber interessiert die Kombination von vollendet und Dummheit. Kann ich etwas vollenden, von dem ich gar nicht weiss, was es ist, von dem nicht die leiseste Ahnung besteht, was es sein könnte? Wären wir doch besser Esel geblieben statt die ganze Evolution durchzumachen?

Und das alles wegen einer Glosse. Wir lassen uns auch gleich von allen einen Esel aufbinden. Und das erst noch, nachdem man sich in der Maturarbeit mit dem Beitrag des Lesens zur Persönlichkeitsentwicklung auseinander gesetzt hat. Besser man liest diese gar nicht mehr, sonst kommt man sich sowieso vollends dumm vor (und verspürt gleichzeitig Glück, also liest man sie besser doch).

Bewundernswert? (53)

Armee als Ort der Geborgenheit. Als Ort, an dem einem jede Entscheidung abgenommen wird, wo der Soldat keine eigene Verantwortung tragen muss.

«Immer hatte Theodor der fremden Macht geglaubt, jeder fremden, die ihm gegenüberstand. In der Armee war er nur glücklich.» (S. 66)

Der Glaube an die fremde Macht kann gerade da fatale Folgen haben: Wenn einer zu fremden Macht geglaubt wird. Glücklichsein hilft nicht allen.

Das zivile Leben «[…] war ein unaufhörliches Aufbauen von Kartenhäusern […]» (S.67)

Das Spinnennetz; in: Joseph Roth, Werke IV, Köln, KiWi, 1989.

Kartenhäuser haben auch etwas schönes an sich. Das Aufbauen kann immer wieder von vorne beginnen. Aus den gleichen Karten wird fortwährend Neues konstruiert. Bewundernswert ist da, wer zum wiederholten Male kreiert.

Über den Politik 2.0 Vortrag (Sarah Genner) (52)

Auch von mir soll hier noch so etwas Ähnliches wie eine kleine Nachlese zum Blogcamp-Vortrag von Sarah Genner publiziert werden. Was Sarah über ihren Vortrag geschrieben hat wegen kurzem Atem und trockenem Hals nahm ich – als Teil des Publikums – gar nicht wahr.

Vielmehr hätte man meinen können, die Frau stehe jeden Tag in einem solchen Hörsaal vor einer derartigen Menschenmenge, die über Politik 2.0 etwas erfahren möchte.

Das analoge Technorati-Ranking präsentierte interessante Resultate. Höchstens dass Moritz Leuenbergers Blog mit 42 Nennungen in den Medien diejenigen Blogger mit Nennung in einer Zeitung anführt, vermochte kaum zu erstaunen. Schliesslich hat der Blog von Leuenberger vom Kanal der Pressemitteilungen des Bundeshauses profitieren können. Dieser Presserohstoff konnte dann einfach in eine Meldung umgearbeitet werden, ohne dass die Journalisten sich gross in der Blogosphäre auskennen mussten.

Interessant aber gleichzeitig ernüchternd war auch die Bestätigung der These, dass die neuen Mittel, die mit Web 2.0, das Web nicht demokratisieren, nur weil jetzt plötzlich alle einfachen Zugang zu Publikationsmitteln erhalten. Auch die Illusion, dass plötzlich aus allen Politikmuffeln politbegeisterte Bürgerinnen und Bürger werden, nur weil einige Blogs sich mit Politik beschäftigen, scheint sich (leider?) nicht zu bestätigen.

Schade war lediglich, dass der aktuelle Wahlkampf nicht mehr in die Arbeit einfliessen konnte. Viele Blogs haben sich mehr oder minder aktiv mit Kommentaren und Berichten daran beteiligt. Am Resultat hätte sich wohl dennoch nicht viel geändert und Sarah Genner hatte bereits so schon Unmengen an Material in ihrem Korpus.

Auf die ausführliche Arbeit freue ich mich jetzt schon. Wer die Vorfreude teilen will, kann sich die Slides zur Präsentation in Sarah Genners Blog herunterladen. (Nein, ich setze keinen Hotlink, auch wenn es kein Bild ist… !)

Update: Auch die NZZ erwähnt den Vortrag von Sarah Genner in ihrem Bericht zum Blogcamp.

Über den Swiss Myth (51)

Dannie Jost hat heute am Blogcamp 2.0 mit ihrem Referat zum «Swiss Myth» zu sehr interessanten Gedanken über den «Swiss Myth», die Schweizer Politik und die Wahrnehmung der Welt anspornen können.

Die anschliessende Diskussion hat denn auch gezeigt, wie sehr sich eine Beschäftigung mit den Mythen lohnen kann. Und auch die Beschäftigung mit dem Begriff des Mythos, der Bildung von Mythen.

Dass der Umgang mit Mythen durchaus auch Kritik ermöglichen soll, die aus der Beschäftigung mit dem Thema «Mythos» herausgehen kann, zeigten die Reaktionen der Gesprächsteilnehmer. Ein kritisches Hinterfragen der Mythen ist nämlich insofern von Bedeutung, als wir unser Denken mit der Vereinnahmung durch Mythen auf eine gewisse Weise prägen, gar Weltanschauungen mit Mythen erklären.

Gerade wo es zu Erklärungen von Identität kommt, die auf Mythen gründen, ist äusserste Vorsicht geboten. Lustigerweise wurde der Tell-Mythos nicht erwähnt. Dies war wohl dem Thema zu verdanken, das Dannie Jost mit ihrer Schilderung zu den Krawallen in Bern klar in eine andere Richtung gelenkt hat.

Dass der Reichtum der Schweiz nicht auf den natürlichen Rohstoffen gründet, von denen die Schweiz wahrlich nicht allzu viele Vorkommnisse hat ausser Wasser und Gestein, wurde uns von Dannie schön vor Augen geführt. Dass der Reichtum der Schweiz davon abhängt, was die Menschen machen, wird auch durch die Metapher des «blue-collar workers» entwickelt: Corsins Hemd – ein typisches Arbeiterkleidungsstück – trägt das Namensschild «Hacker». Der schönste Beweis dafür, dass Leute, die sich mit Information auseinandersetzen, Informationsarbeiter sind.

Aber auch hier lohnt es sich noch, die unzähligen Fragen, die sich noch stellen, zu beantworten. Alles kommt zu seiner Zeit. Da wären zum Beispiel:

  • Wie entstehen Mythen?
  • Wie beeinflussen Mythen unser Denken?
  • Was leisten Mythen zur Identitätsbildung?
  • etc.

Fragen über Fragen (50)

Überall wird klassifiziert und eingeordnet. Präskriptive Reglemente stellen die Einordner vor komplexe Probleme.
In einer Institution in der grossen Stadt Zürich wird man ganz lustige Sachen gefragt, wenn Entscheidungsschwierigkeiten herrschen.

Zum Beispiel, wenn gleich mehrere Menschen miteinander eintreten: «Sind Sie eine Gruppe?» Wenn man dann mit «Ja» antwortet, wird man darauf aufmerksam gemacht, dass Gruppen sich anmelden müssen und nur mit einem Mitarbeiter in den Raum eintreten darf. Auch eine Umentscheidung, dass man jetzt doch keine Gruppe mehr sei, hilft da nicht weiter. Einmal Gruppe, immer Gruppe.

Damen werden mitunter auch ganz Persönliches gefragt, wenn Klassifikationsschwierigkeiten herrschen: Ist das ein Mantel? – Dann müssen Sie ihn ausziehen. – Nein, das ist kein Mantel. – Ah, gut, dann dürfen Sie das Kleidungsstück auch im Raum drinnen auf sich tragen.