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Sandwich

«Du denkst zu literaturwissenschaftlich!» Das sage ich mir in letzter Zeit oft, weil ich mir nur mit grössten Schwierigkeiten die theologische Brille vorstellen kann, die ich für meine bibelwissenschaftliche Seminararbeit bräuchte. Meine Augen verstehen nicht, wie zielführend das ist, über Aussagen des Täufers auf die wahre jesuanische Gestalt zu kommen. Und dann mit dem Historiker Josephus vergleichen, ob der auf ähnliche Schlüsse kommt. Und dann lache ich, wenn der Kommentar literaturwissenschaftlicher wird: «The passage as a whole has a sandwichlike structure.»

Vielleicht müssten sich Literaturwissenschaftler damit abmühen, den Grünen Heinrich oder Henri le Vert wie Keller ihn in Briefen nennt, zu rekonstruieren. Speziell diejenigen, die von sich behaupten, der Grüne Heinrich sei ihre Bibel. Es existieren ja auch verschiedene Fassungen von Heinrich, Gottfried dank!

Wo kauft man sich eine Theologenbrille?

Gottfried Kellers Briefe

Die Zentralbibliothek Zürich hat in ihrer Sammlung einen grossen Schatz gebunkert: Handschriften aus dem Mittelalter, einige der ersten Drucke (sogenannte Inkunabeln oder Wiegendrucke) und weitere kostbare Archivalien. Darunter befindet sich auch ein grosser Teil der Manuskripte und Briefe von Gottfried Keller, einem der wohl bekanntesten Zürcher.

Aber er ist nicht nur einer der bekanntesten Zürcher. Vielmehr hat er wohl Zürich mit der Eingangspassage des Grünen Heinrichs ein Gesicht in der Weltliteratur geschenkt. Wie kein anderer lässt er den Blick über die Stadt schwenken, eine der Städte mit Anschluss an einen See, und lässt den Leser an seinem Zürich teilhaben.

Sozusagen als Geschenk auf die andere Seite lagert die Zentralbibliothek nun einen grossen Teil der Briefwechsel Gottfried Kellers. Diese Briefe werden im Zuge der neuen Historisch-Kritischen-Keller-Ausgabe neu herausgegeben, ein grosser Teil wird dabei sogar zum ersten Mal herausgegeben und einem breiteren Publikum erschlossen. Nicht jeder kann schliesslich die Briefe in der Zentralbibliothek anschauen gehen.

Dass sich nicht jeder eine Historisch-Kritische-Keller-Ausgabe zu leisten vermag, versteht sich auch von selbst. Wer allerdings die Vorzüge des Internets zu nutzen weiss – und das wissen Leser dieser Zeilen wohl –, kann sich durch ausgewählte Schriften Kellers lesen. Ganz nach Lust und Laune den Grünen Heinrich in der ersten und zweiten Fassung parallel, damit man die Unterschiede festmachen kann, die Leute von Seldwyla oder gar Kleider machen Leute. Und natürlich die Briefe, die den langwierigen Entstehungsprozess des Grünen Heinrichs dokumentieren.

Wer gerne Kritzeleien entziffert, sollte sich unbedingt die «Kolossale Kritzelei» anschauen, wie sie Heinrich Lee veranstaltet. Und weil einen das Keller-Fieber so gepackt hat, gleich so angesteckt hat, doch gleich einmal den Grünen Heinrich, Grünen Henri oder Henri vert, wie er in Briefen an Hettner genannt wird, in einem Rutsch durchlesen. Dabei am besten nicht jammern über die Dicke des Buches, bzw. der Bücher, wenn man beide Fassungen lesen möchte, sondern durch die Sprache einlullen lassen und dem Grünen Heinrich durch die Jugendjahre folgen.