Mehrkarteien-System

Umberto Eco ist bekanntlich nicht nur ein renommierter Schriftsteller, der sich mit «Der Name der Rose» weltweit einen Namen gemacht hat: Er ist auch in der Wissenschaft ein Name, mit dem sich Sprach- und Literaturwissenschaftler auseinander setzen, vor allem dann, wenn sie sich mit Semiotik beschäftigen.

In viel allgemeinerer Weise ist ein Buch Ecos im Umlauf, was auf Deutsch den Titel «Wie man eine wissenschaftliche Abschlußarbeit schreibt» trägt. Ein Buch, das einem nicht nur für die Abschlussarbeit nützt; man sollte sich dieses nette Büchlein am besten gleich am Anfang des Studiums zu Gemüte führen, schliesslich finden sich darin allgemeine Tipps zum richtigen Bibliografieren, der Organisation von Zusammenfassungen, Exzerpten und allerhand Dingen, die für den wissenschaftlichen Alltag von Belang sind.

Dies geschieht nicht auf oberschulmeisterliche Art und Weise, sondern in einem Ton, der sich angenehm liest. Statt eines Drohfingers zeigt das Buch bloss Beispiele auf, die sogar der naive Wissenschaftler, der sich mit Wissenschaft noch gar nicht auskennt, als lustig empfindet.

Eco plädiert in seinem Buch dafür, dass man sich mehrere Karteien anlegt, während man arbeitet: Eine Titel-Kartei, in der man alle Titel verzeichnet, die man suchen möchte und eine für Notizen. Ob und wie sich diese Aufteilung halten lässt mit den elektronischen Hilfsmitteln, die in der 4. Auflage, die ich gerade vor Augen habe, noch nicht wahnsinnig verbreitet waren, bleibt zu diskutieren oder in einer neueren Auflage nachzuschauen.

Bibliografische Angaben: Eco, Umberto: Wie man eine wissenschaftliche Abschlussarbeit schreibt. Doktor-, Diplom- und Magisterarbeit in den Geistes- und Sozialwissenschaften. 4. Auflage der deutschen Ausgabe, Heidelberg, 1991. (Seither sind schon unzählige Auflagen nachgedruckt worden.)

Orchideenwurzeln erdicken

Meine junge Orchidee, die ich erst neulich von der Mutterpflanze abgelöst und auf neues Substrat gepflanzt habe, wächst nicht nur prächtig; auch die Wurzeln werden von Tag zu Tag dicker. Ganz erstaunlich eigentlich, denn vor gut zwei Wochen waren die Wurzeln bloss Luftwurzeln.

Orchidee mit immer dickeren Wurzeln
Orchidee mit immer dickeren Wurzeln

Normalerweise heisst es ja, jemand wachse wie ein Welpe, ich muss das Sprichwort korrigieren: Es sollte viel eher heissen, dass jemand wie eine junge Orchidee wachse. Die Blätter sind im Vergleich mit der Vorwoche und den ersten Blättern, die so langsam aber sicher den Geist aufgeben, schon wieder prächtig gewachsen.

Langsam will der Topf als Ausbreitungsort nicht mehr genügen, die Blätter fangen bereits an, über den Rand hinauszuwachsen und den Topf bloss noch als Reservoir für die Wurzeln und Nährstoffe zu verwenden, die ja im Substrat noch in Hülle und Fülle bereit stehen.

Die Farbe der Pflanze wird immer kräftiger: Die grüne Farbe der Blätter erinnert mich mehr und mehr an den grünen Rasen in Irland, was allerdings nichts heissen will: Rot-Grün-Farbenblinden soll man im Urteil über grüne Farben nicht unbedingt trauen, schon gar nicht, wenn es subtile Farbunterschiede sind.

Während der Beobachtung des Wachstums bleibt die tägliche Freude über immer grössere Blätter, die nicht nur länger, sondern auch breiter werden und eine intensivere Farbe. Und was noch viel schöner ist: Die Vorfreude auf die ersten Blüten, die hoffentlich bald kommen werden, wenn die Mutterpflanze aufgehört haben wird zu blühen und umgetopft wird. (Sie hat dringend neues Substrat nötig, jedoch soll man Orchideen nicht umtopfen, während sie in der Blüte sind oder austreiben.)

Eine Orchidee wächst

Eine Woche ist sie jetzt abgenabelt von ihrer Mutter, vielleicht auch vom Vater, man weiss es nicht so genau bei der vegetativen Fortpflanzung. Und sie wächst und wächst.

Junge Orchidee von oben.
Junge Orchidee von oben.
Auch von der Seite guter Blickfang
Auch von der Seite guter Blickfang

Beim Abschneiden der «Leitung» von Mutter zu Tochter waren die Blätter noch ganz winzig, vielleicht fingerbreit lang. Auf der neuen Unterlage wachsen die Blätter so schnell, dass sie jetzt die Breite eines Daumens bekommen haben. Auch die Wurzeln entwickeln sich prächtig: Die einstigen Luftwurzeln sind dabei zu mutieren und verdicken sich zu Wurzeln, die dem Substrat Wasser und Nährstoffe abgreifen.

So steht die kleine Orchidee jetzt neben ihrem grossen Vorbild auf dem Tisch, wächst und wächst, ohne sich viel dabei zu denken. Was sollte sie auch, die Zellteilung und die Fotosynthese sind ja schon anstrengend genug!

Alt neben Jung
Alt neben Jung

Und so kann man nun nicht dem Gras zuhören wie es wächst, sondern nur das erstaunlich schnelle Wachstum der Orchidee bewundern. Bald schon wird es vielleicht wieder Zeit zur vegetativen Fortpflanzung, wenn es dann so aussieht wie vor einem Monat?

Die junge Orchidee noch abhängig: Am alten Stamm.
Die junge Orchidee noch abhängig: Am alten Stamm.

Wie riechen Buchstaben?

So schön es ist, Buchstaben von überall her zu lesen, so schön wäre es, etwas über die Gestalt der Buchstaben zu wissen. Zum Beispiel: wie die Buchstaben riechen.

Dieses Problem stellt sich dem Gedruckten vorerst nicht: Er weiss, welchen Geruch das Papier tragen wird, auf das seine Buchstaben gedruckt werden. Sogar Zeitungsschreiberlinge, die ihr Wort tagtäglich in Papier pressen lassen, kennen den ureigenen Geruch, der die Symbiose von Druckerschwärze und Zeitungspapier entwickeln wird. Und falls die Schreiberlinge tatsächlich so neugierig sind wie sie sonst glauben machen, dann beschnuppern sie ihre Zeitungsblätter und überprüfen sie auf Geschmacksrichtigkeit.

Wessen Buchstaben nur virtuell existieren, ja dessen Buchstaben im eigentlichen Sinne keine BUCHstaben sind, weil sie bloss in einer Datenbank ein festes Dasein fristen, der muss sich Gedanken darüber machen, wie seine Buchstaben wohl riechen könnten. Die Gedanken darüber führen aber vom eigentlichen Geruchssinn weg, denn plötzlich spielt es keine Rolle mehr, ob die Buchstaben nach Vanille riechen oder nach Burberry-Parfum, nach Zitrusduft oder Torfheizung. Mit einemmal Kreisen Gedanken auf weiteren Bahnen: Wenn man nicht einmal weiss, wie die Buchstaben riechen, wie soll man denn auch nur im entferntesten Sinne wissen können wie Worte verstanden werden, wenn sie einmal geschrieben sind und gelesen werden?

Wenn der eine Leser eine Vorliebe für Zitrusdüfte hat, wird er auch die Buchstaben anders lesen als die Leserin, die sich am liebsten mit Eukalyptus-Düften umgibt. Schliesslich haben die beiden einen anderen Prototyp unter dem Lieblingsduft abgelegt. So werden die beiden bestimmt auch ein anderes mentales Bild von einem Baum haben. Sieht man sich vor solch elementare Probleme gestellt, kommt es gar nicht mehr darauf an, wie denn die Buchstaben riechen, wenn sie gelesen werden. So flüchtig wie die Buchstaben über Bildschirme flimmern, so flüchtig sind auch die Gerüche, die auf dem gedruckten Papier einen Zwischenstopp eingelegt haben, bevor sie die Umgebung mit ihrem Duft beglücken.

Das Problem des Duftes und des Geruches ist also nicht wirklich ein Problem des Duftes oder des Geruches, sondern ein Problem, das viel elementarer in der menschlichen Wahrnehmung verwurzelt  ist. Soll man das für wahr halten, was man wahrnimmt? Vielleicht ist mit «Baum» ein anderer Baum gemeint als derjenige, den Sie bei der Lektüre des Wortes «Baum» vor sich gesehen haben?

So muss es Ihnen überlassen sein, welchen Baum Sie sehen, während Sie lesen, gleichermassen wie es Ihnen überlassen sein soll, mit welchem Hintergrundgeruch oder -duft Sie diese Zeilen gelesen haben. Ein angenehmer Duft soll Ihnen gegönnt sein.

Falls Sie es wissen wollen, bloss damit Sie sich den Umgebungsgeruch vorstellen können, der das Schreiben dieses kleinen Textes umgab: Der Rohentwurf dieses Beitrags entstand auf einem Papier mit toter Fliege.

A Point of Guinness, Please

Guinness ist einer der grössten Arbeitsgeber auf der grünen Insel. Das Gebräu aus den gerösteten Weizenkörnern schmeckt nicht nur gut, sondern lässt Busfahrer und allerhand andere Leute zu sprachlicher Variationskunst hinreissen, dass man gute Ohren braucht, damit man versteht, was denn die Sehenswürdigkeit, über die gerade gesprochen wird, ausmacht.

Nicht, dass die Busfahrer eine Pinte intus hätten, aber wenn sie aussprechen, wie man “a pint of Guinness” mit einem Bisschen Lokalkolorit auf der Zunge ordern solle, könnte man meinen, in einem Vokalparadies gelandet zu sein. Man könnte – so wie von den Festland-Schulen her gewöhnt aussprechen, oder aber so wie der eine Busfahrer es spricht “pint” genau gleich wie “point”, sind ja schliesslich nur Vokale, warum denn so genau sein?

Befänden wir uns in einem anderen Jahrhundert, würde man jetzt nach der Ursache für diese Sprechweise kommen und das mit irgendwelchen Tätigkeiten am Feierabend in Verbindung setzen. Anachronistischen Aktivitäten wollen wir uns hier jetzt aber nicht hingeben, aber entschuldigend darauf hinweisen, dass die Arbeitsplätze beim grössten Arbeitgeber gewahrt werden wollen, nicht wahr?

Für Touristen bietet die Guinness-Brauerei übrigens in Dublin eine geniale Sache. Auch wenn einem das dunkle Bier nicht schmeckt, ist das Guinness-Storehouse einen Ausflug wert, bei der Degustation muss man ja nicht gleich mitmachen. Die Aussicht nämlich, die einem im runden Turm geboten wird, ist einmalig. Man hat den Überblick über ganz Dublin, ein wunderbares Panorama, man überzeuge sich selbst an den Fotos.

Hier oben kann man sich auch davon überzeugen, dass es keine Rolle spielt, ob man nun Dublin oder Dablin prononciert, die Hauptsache ist schliesslich, dass die Stadt existiert. Und so kann man sich denn auch vorstellen, dass der Stephen aus A Portrait of The Artist as a Young Man folgenden Ausspruch von sich gibt:

“It was very big to think about everything and everywhere. Only God could do that. He tried to think what a big thought that must be; but he could only think of God. God was God’s name just as his name was Stephen. Dieu was the French for God and that was God’s name too; and when anyone prayed to God and said Dieu then God knew at once that it was a French person that was praying. But, thought there were different names for God in all the different languages in the world and God understood what all the people who prayed said in their different languages, still God remained always the same God and God’s real name was God.”

Joyce, James (2001): A Portrait of the Artist as a Young Man. Hertfordshire: Wordsworth Classics, P. 10.