Archiv der Kategorie: Gelesen

Schöne Weihnachten! (67)

Ich wünsche allen Lesern und Leserinnen schöne Weihnachten! Möge es euch besser ergehen als dem Kellner am Weihnachtsabend.

Der Weihnachtsabend des Kellners

Aller Welt dreht er den Rücken,
und sein Blick geht zu Protest.
Und dann murmelt er beim Bücken:
«Ach, du liebes Weihnachtsfest!»

Im Lokal sind nur zwei Kunden.
(Fröhlich sehn die auch nicht aus.)
Und der Kellner zählt die Studen.
Doch er darf noch nicht nach Haus.

Denn vielleicht kommt doch noch einer,
welcher keinen Christbaum hat,
und allein ist wie sonst keiner
in der feierlichen Stadt. –

Dann schon lieber Kellner bleiben
und zur Nacht nach Hause gehn,
als jetzt durch die Strassen treiben
und vor fremden Fenstern stehn!

(Erich Kästner)

Von Bibliotheken (63)

Die NZZ hat heute (Lebens-)berichte von Autoren und Wissenschaftlern mit ihren Büchersammlungen gebracht. Viele gehen auf die Erlebnisse mit ihren ersten Büchern (oder den ersten Frauen) ein, die nicht immer einfach waren.

Die Textarchive sind bei den meisten nicht so sehr geordnet, dass auf Anhieb dasjenige gefunden wird, was der eigentliche Beweggrund für die Suche in der Büchersammlung gewesen wäre; auf der Suche wird noch viel mehr wiedergefunden und neuentdeckt.

Schön, dass die NZZ Blicke in die privaten Bibliotheken von Damen und Herren gewährt. Gleichzeitig zeigen die Berichte, dass Unordnung auch eine Ordnung sein kann und man sich beim Bändigen der eigenen, wenngleich auch viel bescheideneren, Büchersammlung Zeit lassen kann, bis sich die Ordnung von alleine ergibt.

Folgend noch die Links zu den lesenswerten Artikeln, die in der NZZ erschienen sind:

Update vom 2.12.07: Passend dazu auch der Text, der am 21. April 2006 bei der Wiener Zeitung erschien: Wer hat meine Bücher?

Parallel: Gamen und Erzählen (61)

Schon das Beispiel Claude Cueni, der das Präventions-Computerspiel «Catch The Sperm» für das Bundesamt für Gesundheit erfunden hat, zeigt eine gewisse Parallele zwischen dem Erzählen und der Kreation eines Computerspiels. Nicht dass die Episoden von «Catch The Sperm» sich durch wahnsinnige Plots charakterisieren würden, aber sie haben eben Plots. Claude Cueni verdient auch Geld als Schriftsteller, dass die Plots (und vielleicht auch der Stil) da besser sind als bei «Catch The Sperm», will ich hoffen. Die Bücher sind meistens ziemlich wuchtig.

Neuerdings wird mit Martin Ganteföhr ein Beispiel eines Computerspiel-Designers vorgeführt, der sich auf die Kunst des Narrativen im Computerspiel versteht. Es werden regelrecht Geschichten erzählt, wenn man dem Bericht der Telepolis Glauben schenkt. Von traditionellen Game-Heften werden Spiele wie «Overclocked» allerdings nicht allzu positiv bewertet, da sie sich anscheinend zu sehr auf die technische Umsetzung eines Computerspiels fixieren.

Ganteföhr kommt von der strukturalistischen Literaturwissenschaft her und hat sich mit Mythen beschäftigt. Er sieht Computerspiele viel mehr in einem Kontext der Gesamtkultur als durch eine rein technische Brille. Er meint sogar, dass die fotorealistischen Charaktere dem Computerspiel nicht unbedingt zuträglich sei, schliesslich wolle der Spieler auch seine eigene Phantasie mit einbringen.

Mit der Vorstellungskraft und Phantasie hat wohl das narrative Computerspiel Parallelen zur Erzählung oder gar zum Text als solches: Der Rezipient muss sich aktiv betätigen, damit das Spiel bzw. die Erzählung fortschreiten kann. Dies sei auch gleich die Schwierigkeit, meint Ganteföhr im Telepolis-Interview: «Die Wirkung eines ernsten Spiels entfaltet sich oft erst nach Stunden, und während derer darf man den Spieler nicht verlieren.»

Lesen und Glück (55)

Mit einer Glosse zum Lesen und dem Glück behelligt uns Ulrich Greiner diese Woche. Er fragt, ob lesen glücklich machen könne.

Lesen ist, wie die Fähigkeit, Rad zu fahren oder den Computer zu benutzen, eine Kulturtechnik, man muss sie beherrschen, um in dieser Gesellschaft überleben zu können. Mit Glück hat sie nichts zu tun, eher im Gegenteil: Das dauerhafte, wahrhafte Glück besteht wahrscheinlich in der vollendeten Dummheit.

(Quelle: Zeit.de)

Recht muss der Mann wohl haben, Gesellschaft kann wohl wirklich etwas mit dem Gegenteil von Glück zu tun haben. Aber ist Glück im Grunde genommen überhaupt etwas Dauerhaftes? Von Wahrhaftigkeit wagt wohl auch sonst niemand zu sprechen, wenn es um Glück geht. Zu sprunghaft ist das Glücksgefühl. Zu abhängig von äusseren Umständen. Vielleicht auch von der Gesellschaft. Oder der Konstruktion von Gesellschaft, die wir herstellen.

Vielleicht bin ich auch auf das Pronomen reingefallen. Ist die Kulturtechnik angesprochen, wenn Greiner seinen Diskurs über Dummheit und Glück startet? Ist das Nichtbeherrschen einer Kulturtechnik unter vielen gleichzusetzen mit Dummheit? Wie misst man Dummheit?

Vor allem aber interessiert die Kombination von vollendet und Dummheit. Kann ich etwas vollenden, von dem ich gar nicht weiss, was es ist, von dem nicht die leiseste Ahnung besteht, was es sein könnte? Wären wir doch besser Esel geblieben statt die ganze Evolution durchzumachen?

Und das alles wegen einer Glosse. Wir lassen uns auch gleich von allen einen Esel aufbinden. Und das erst noch, nachdem man sich in der Maturarbeit mit dem Beitrag des Lesens zur Persönlichkeitsentwicklung auseinander gesetzt hat. Besser man liest diese gar nicht mehr, sonst kommt man sich sowieso vollends dumm vor (und verspürt gleichzeitig Glück, also liest man sie besser doch).

Bewundernswert? (53)

Armee als Ort der Geborgenheit. Als Ort, an dem einem jede Entscheidung abgenommen wird, wo der Soldat keine eigene Verantwortung tragen muss.

«Immer hatte Theodor der fremden Macht geglaubt, jeder fremden, die ihm gegenüberstand. In der Armee war er nur glücklich.» (S. 66)

Der Glaube an die fremde Macht kann gerade da fatale Folgen haben: Wenn einer zu fremden Macht geglaubt wird. Glücklichsein hilft nicht allen.

Das zivile Leben «[…] war ein unaufhörliches Aufbauen von Kartenhäusern […]» (S.67)

Das Spinnennetz; in: Joseph Roth, Werke IV, Köln, KiWi, 1989.

Kartenhäuser haben auch etwas schönes an sich. Das Aufbauen kann immer wieder von vorne beginnen. Aus den gleichen Karten wird fortwährend Neues konstruiert. Bewundernswert ist da, wer zum wiederholten Male kreiert.