#31: Nach dem Abbruch muss es weiter gehen (135)

Nachdem die Abbrucharbeit ja mit dem letzten Beitrag beendet wurde, wird es höchste Zeit, auch demjenigen zu erzählen, dass es keine lustige Sache ist, der immer so tut, als könnte ihn nichts anderes mehr abbrühen.

Kein guter Anfang, wenn bereits in der ersten Stunde etwas abgebucht werden muss. Wobei Abbuchungen nichts Negatives per se sind, sondern nur dann, wenn sie auf dem eigenen Konto gemacht werden müssen. Ausser natürlich, man kann damit eine gute Sache unterstützen. Und wenn es alles ein bisschen schneller macht, ohne dass man alle abbügeln braucht, weil die nicht gerne… Eigentlich ist ja abbügeln einer dieser unbekannten Begriffe. Vielleicht einfach darüber schauen? – Die Leser bemerken das doch sicher nicht? – Und sonst einfach um Hilfe bitten, weil abbügeln für zurechtweisen noch nie gehört? Hallo, ist da jemand?

Auch abbummeln scheint äusserst gewieft zu sein, aber dass man damit die Überstunden ausgleichen soll? Weil man mit dem Geld, das man mehr eingenommen hat, einen grossen Bummel unternimmt? Und dann von der nächsten Abbuchungsanzeige den Bammel hat?

Vielleicht könnte man von den dreckigen Kleidern einfach einmal den Schmutz abbürsten, immer neue kaufen tut der Abbummelungsbilanz wohl nicht allzu gut.

Lieber Zettelkasten statt Tags

Am 14.7.2008 erschienen neue Gedanken zum Thema Zettelkasten: Der Karteikasten im digitalen Zeitalter.

Die einfachste Art, sich eine Gedächtnisstütze aufzubauen ist wohl diejenige mit dem guten alten Zettelkasten. So antiquiert einem das vorkommen mag, er hat gegenüber den Computerverwaltungssysteme einen vortrefflichen Vorteil: Die Zettel können so beschriftet werden wie man will.

Mit den Wundermitteln der modernen Computertechnik, Datenbanken und was auch immer man da noch kennt, hat man nämlich einen entscheidenden Nachteil: Die Verwaltungsprogramme lassen sich ohne Programmierkenntnisse meist nicht auf den eigenen Bedarf anpassen. Und wer kann schon von sich behaupten, dass er, bloss weil er Informationen zu verwalten hat, noch eine Programmiersprache lernen möchte oder sich gar mit den kompliziertesten Datenbankanwendung auseinandersetzen möchte?

Sich ein Archiv herzustellen mit den wichtigsten Sachen, die man ständig braucht oder die man in der Zukunft vielleicht einmal brauchen kann, geht mit den guten alten Papierzetteln noch einfacher als mit den unzähligen Datenbanksystemen, die auf dem Markt vorhanden sind. Ein grosser Teil der Programme ist gratis oder gar als OpenSource erhältlich und haben einen Vorteil: Braucht man sie für ein Zitat – und das braucht man ja meist elektronisch – kann per Copy Paste der Text eingefügt werden und gleich noch die Literaturangaben beigefügt werden.

Macht man das mit einem handschriftlichen Zettelarchiv, braucht dies ein bisschen mehr Zeit. Erstens braucht man händisch einen Index zu erstellen, in dem man sich Begriffe notiert, mit denen man ein Zitat irgendwann einmal in Verbindung bringen könnte. Zettel müssen konsequent in diesen Index eingetragen, sonst kann man das Exzerpieren gleich lassen, denn Zettel in einem Archiv, die nicht im Index enthalten sind, verlieren ihren Wert. Höchstens durch einen guten Zufall kommt man wieder zur Information, die man eigentlich gesucht hatte.

Die Karteisammlung, die mit dem Papiersystem immer wieder nach dem richtigen Eintrag abgesucht werden muss, hat nämlich – trotz der Langsamkeit dieses Vorgehens – einen Vorteil, den man nicht mehr missen will, sobald die Sammlung eine gewisse Grösse erreicht hat: Beim gemütlichen Suchen der Karte, auf der das erhoffte Zitat steckt, trifft man andere Karten an, die einen auf andere Gedanken führen können und die Recherche in einen breiten Rahmen einbetten.

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Auf diese Weise wird auch der Weg der Suche wichtig, und es ist so, wie wenn man in einer Bibliothek über die Buchrücken streift, um das gesuchte Buch zu finden: Manchmal sieht man gleich noch einen weiteren spannenden Band, den man nach Hause mitnimmt, um gemütlich darin zu schmöckern, der dann die treffende Idee bringt. Wenn man nur den richtigen Titel gefunden hätte, wäre einem das Wesentliche nicht über den Weg gelaufen: Das nämlich, was auf den ersten Blick falsch geschienen hatte, dessen Wert man nicht von Anfang an einschätzen konnte.

Wer sich im Computer eine Datenbank anlegt, hat diese Effekt des Durchblätterns nicht mehr. Ein Effekt, der in den Gehirnrinden Verbindungen herstellt, die vielleicht nur durch das haptische Erlebnis ermöglicht wurde.

#30: Vom abbruchreifen Haus (133)

Bevor die Fassade dieses Blogs abzubröckeln beginnt, muss es unbedingt frisch verputzt werden. Abbröckelung ist nämlich für die Leute äusserst gefährlich, die an einem solchen Gebäude vorbeilaufen, hat man mir gesagt. Ich habe dies aus vertraulicher Quelle, denn als Hausbesitzer muss P. es wissen, dass man mit Abbröcklung nicht immer einfach davonkommt.

Es gibt Leute, die behaupten, sogar mit einer Busse davon gekommen zu sein, weil sie aus irgendeinem Grunde, der netten Einladung nicht gefolgt sind, doch endlich das Haus zu renovieren und der Fassade einen neuen Anstrich zu geben. Viel lieber sind sie mit dem Geld in die Ferien verreist und haben sich einen frischen Apfel vom Baum abgerockt.

Aber es wäre doch allzu Schade, aus den Ferien zurückzukehren und beim Abbruch des eigenen Hauses zuzuschauen, auch wenn es wohl für die Nachbarn eine Genugtuung wäre. Auch wenn man in den Ferien Häuser zu sehen bekommen hat, die sich in einem noch desolateren Zustand befanden. Je nach dem, wie weit südlich man sich begibt, so hört man, soll dies gar zur Baukultur gehören.

In diesen Kulturkreisen liegt den Behörden wohl aber daran, die Abbrucharbeiten nicht selbst durchzuführen. In Staaten, wo es noch etwas gilt, die Fassade zu wahren, wird wohl die Abbruchgenehmigung ziemlich schnell gewährt. Warum sollte man auch eine Ruine schützen wollen, in der schon neue Bäume wachsen, die der Natur sozusagen in ihrer Wildheit überlassen werden könnten? Und das erst noch mit der Kenntnis, dass es die Jahreszeiten gibt, denn Musik hat man ja immer schon gerne gehört. Und in einem Abbruchhaus hört sich diese Musik weniger gut als in einem Haus, das noch nicht in abbruchreifem Zustand sich befindet.

Gottfried Kellers Briefe

Die Zentralbibliothek Zürich hat in ihrer Sammlung einen grossen Schatz gebunkert: Handschriften aus dem Mittelalter, einige der ersten Drucke (sogenannte Inkunabeln oder Wiegendrucke) und weitere kostbare Archivalien. Darunter befindet sich auch ein grosser Teil der Manuskripte und Briefe von Gottfried Keller, einem der wohl bekanntesten Zürcher.

Aber er ist nicht nur einer der bekanntesten Zürcher. Vielmehr hat er wohl Zürich mit der Eingangspassage des Grünen Heinrichs ein Gesicht in der Weltliteratur geschenkt. Wie kein anderer lässt er den Blick über die Stadt schwenken, eine der Städte mit Anschluss an einen See, und lässt den Leser an seinem Zürich teilhaben.

Sozusagen als Geschenk auf die andere Seite lagert die Zentralbibliothek nun einen grossen Teil der Briefwechsel Gottfried Kellers. Diese Briefe werden im Zuge der neuen Historisch-Kritischen-Keller-Ausgabe neu herausgegeben, ein grosser Teil wird dabei sogar zum ersten Mal herausgegeben und einem breiteren Publikum erschlossen. Nicht jeder kann schliesslich die Briefe in der Zentralbibliothek anschauen gehen.

Dass sich nicht jeder eine Historisch-Kritische-Keller-Ausgabe zu leisten vermag, versteht sich auch von selbst. Wer allerdings die Vorzüge des Internets zu nutzen weiss – und das wissen Leser dieser Zeilen wohl –, kann sich durch ausgewählte Schriften Kellers lesen. Ganz nach Lust und Laune den Grünen Heinrich in der ersten und zweiten Fassung parallel, damit man die Unterschiede festmachen kann, die Leute von Seldwyla oder gar Kleider machen Leute. Und natürlich die Briefe, die den langwierigen Entstehungsprozess des Grünen Heinrichs dokumentieren.

Wer gerne Kritzeleien entziffert, sollte sich unbedingt die «Kolossale Kritzelei» anschauen, wie sie Heinrich Lee veranstaltet. Und weil einen das Keller-Fieber so gepackt hat, gleich so angesteckt hat, doch gleich einmal den Grünen Heinrich, Grünen Henri oder Henri vert, wie er in Briefen an Hettner genannt wird, in einem Rutsch durchlesen. Dabei am besten nicht jammern über die Dicke des Buches, bzw. der Bücher, wenn man beide Fassungen lesen möchte, sondern durch die Sprache einlullen lassen und dem Grünen Heinrich durch die Jugendjahre folgen.

Bibliothek im Wabenmuster (überarbeitet) (130)

Wissensarchitektur nach dem Vorbild der Bienen

Die Idee schwirrt schon lange im Kopf herum: Es müsste doch möglich sein, eine wabenförmige Bibliothek zu bauen. In ihrer Form sind Bienenwaben nämlich äusserst gelungene Fabrikate. Ein sechseckiger Grundriss für eine jede Zelle, man stelle sich die vielfältigen Einrichtungsmöglichkeiten vor! In dieser nahezu perfekten Gestalt schmiegt sich Zelle an Zelle, in denen Larven aufgezogen, Honig und Pollen gelagert werden.

Das Modell, das uns die Bienen mit ihren Waben aufdrängen, sollten wir für die Organisation unseres Wissens genauer ansehen. An einem einzigen Ort werden die wichtigsten Aufgaben eines Bienenvolkes gelöst: Das Problem des Nachwuchses, die Versorgung mit Energie und die Möglichkeit, sich selbst weiterzuentwickeln. Der Nachwuchs ist schon von Anfang an mitgeplant: Die Bienen verbringen einen Grossteil ihres Lebens damit, ihren Nachwuchs zu füttern und aufzupäppeln, ganz darauf bedacht, ihr Wissen an die nächste Generation weiterzugeben. Eine Gesellschaft, deren Rohstoff Wissen und Ausbildung ist, sollte – wie die Bienen – mit Nachdruck dafür sorgen, dass der Nachwuchs mit seinen Rohstoffen und mit seinen Aufgaben sozialisiert wird.

Honigsüsse Energie lagert in den Bienenwaben, welche die Voraussetzung jedes Bienenlebens darstellen. Lebenswichtig sind auch die ruhigen Stunden innerhalb der Bienenwaben. Es sind Stunden, in denen die Nachwuchs-Bienen angeleitet werden, bevor es in den geschäftigen Alltag geht: Hier ein Schlückchen Nektar, da auf der schönen Blüte noch kurz ausruhen, um wieder in die aktive Umgebung der Waben zurückzukehren.

Wer sich Wissen und Erfahrung aneignen will, soll einen Zugang dazu bekommen. Er soll sich von der Energie, die in den Waben gespeichert ist, ernähren und mit dieser Nahrung eine Grundlage für sein eigenes Leben schaffen. Eine Gesellschaft, in der Wissen eine wichtige, ja gar eine primäre Rolle spielt, sollte das honigsüsse Wissen mit der gleichen Sorgfalt behandeln wie die Bienen ihren Honig.

Der Erwerb von Wissen und von Fähigkeiten, sich selbst den Zugang zu allem Möglichen zu verschaffen gehört in einem solchen Umfeld dazu. So wie sich die Bienen gegenseitig helfen, eine neue Zelle innerhalb der Wabe zu erschaffen, sollte es dazu gehören, dass sich die Wissens(er)arbeiter gegenseitig unter die Arme greifen und in ihren Zielen unterstützen. Jeder sollte vom Honig der nächsten Zelle kosten dürfen, eine gegenseitige Anstachelung zu immer besserem Honig führen.

So skizziert sich die Idee der Bibliothek im Wabenmuster. Sie geht aber noch weiter, denn nicht nur die Möglichkeit der gegenseitigen Hilfe ist in dieser Bibliothek wichtig, sondern auch die Möglichkeit, sich aus sich selbst heraus zu erweitern. So wie die Bienen unermüdlich neue Zellen an die Waben anschliessen, um sich veränderten Bedingungen anzupassen, muss sich eine Bibliothek, die sich auch als Archivarin von zeitgenössischem Schaffen sieht, unentwegt den kulturellen Bedingungen anpassen. Sie soll dazu bereit sein, eine neue Zelle in das bestehende Wabenmuster einzubauen, auch dies wiederum in der gegenseitigen Hilfe.

Die Bibliothek im Wabenmuster müsste eine offene Stätte sein für alle Arten von Bienen, die sich innerhalb der Wabenwände wohlfühlen und am gemeinsamen Werk mitarbeiten wollen. Eine Werkstätte der gegenseitigen Hilfe, die jedes Individuum in seinen Projekten unterstützt. Ein Ort, an den es sich nach Höhenflügen zurückzukehren lohnt, weil die kommende Generation darauf wartet, aus den Startlöchern zu kommen und selbst zu Höhenflügen anzusetzen.

Auf, dass sie ausfliegen!