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Grünende Hoffnung im Kinderwagen

Schon wieder im Wald spazieren gegangen. Da ist das Wetter viel erträglicher, die Spaziergänger dadurch auch. Nur sie, die eine Frau, die ihren Kinderwagen beim steilen Abstieg bremst, zieht ein Gesicht, wie man es noch nie gesehen hat.

Warum sie so schlecht gelaunt sein mag? – Nicht alles ist den Menschen vom Gesicht abzulesen, schon gar nicht, wenn Blickkontakt explizit verweigert wird, nur ja keinen Blick durch die Augen nach innen erlauben! Und auch wenn man gewillt ist, das Unerklärliche zu erklären, sollte man es mit Erklärungen von Gesichtern so halten wie es Zettel in Shakespeares Sommernachtstraum hält:

Zettel spricht:«[…] Ich habe ein äußerst rares Gesicht
gehabt. Ich hatte ’nen Traum – ’s geht
über Menschenwitz, zu sagen, was es für
ein Traum war. Der Mensch ist nur ein
Esel, wenn er sich einfallen läßt, diesen
Traum auszulegen.» (4. Aufzug, 1. Szene)

Man wäre also ein Esel, zu erklären, was dieser Frau das Gesicht bei Temperaturen wie diesen einfrieren lässt. Polarsterne auf nackten Bäuchen werden es wohl nicht gewesen sein.

Viel schöner wäre es allerdings, wenn ihr Gesicht mit einem Lächeln darauf versteinern würde. Ein Lächeln, das für andere da ist, ein Lächeln, das weitererzählt werden will, und ein Lächeln, das der grünenden Hoffnung im Kinderwagen ein Fundament zu legen weiss.

So wie die Büste im Garten:

Ernstes Lächeln im Garten

Nackte Körper im Wald

Die Hitze scheint jetzt auch die Personen erreicht zu haben, die sich an alles gewöhnen.

Es gibt die erstaunlichsten Sachen zu sehen, wenn man sich auf einen Waldspaziergang begibt. Die üblichen Verdächtigen sind schnell ausgeschlossen: Die Waldarbeiter haben sich verzogen, Fuchs und Hase machen Sommerpause, die Rehlein machen Ferien ausserhalb des Waldes und tummeln sich auf den saftigen Wiesen der Bauern.

Saftig sieht denn auch das Fleisch aus, das durch den Wald spaziert. Mit hochrotem Kopf und einem Polarstern auf dem Bauch läuft es durch den Wald. Das Sternband umfängt den Bauch akkurat in der Mitte. Man würde gerne wissen, was die Pole am Äquator zu suchen haben, aber man soll Reisende nicht aufhalten.

Diesen Siebenmeilenstiefelläufer erst recht nicht, denn das Fleisch trieft, als ob man es anbraten würde, eine richtig saftige Angelegenheit. Dem Vorbeigehenden stellt sich nur die Frage, ob das Fleisch denn auch geniessbar sein wird.

So hastig muss es durch den Wald gehen, dass nicht einmal Begegnung möglich wird. Kein Gruss, auch kein Nicken. Kein Wunder: Nur totes Fleisch wird angebraten.

Von der Passion zum passionierten B. (101)

Ein gestürzter B. im Wald. Nein, es geht nicht etwa um die Bäume, die im Eschenbergwald gefällt werden, damit sie verheizt werden können. Die verheizten Topkader sind im Wald viel zahlreicher anzutreffen als rollende Bäume. Sie rollen mit ihren teuren Velos die tauenden Wege hinunter, damit die Kleider – irgendein synthetisches Fabrikat wohl – möglichst dreckig werden, und man zu sehen fähig ist, was sie angestellt haben. Manchmal auch im Status eines Gestürzten, einige haben das Glück, dass ihnen der Stuhl abgesägt wird, bevor es zum natürlichen Fall kommen würde. Der Sturz sei dann kontrollierter, wie man Förstern entlocken könnte, wenn man sie denn fragen würde.

Der Platz, den ein Baum nach seinem Sturz einnehmen wird, ist wohl schon vorbestimmt. Manch einer wird gehäckselt, damit eine Holzschnitzelheizung das Beste aus dem kränkelnden oder nicht mehr verwendbaren Objekt machen kann: Recycling, damit der Verwesungsprozess nicht eintritt.

Was aber macht der gefällte Topkader-Platzhirsch, nachdem ihm der Stuhl abgesägt worden, und er erst noch vom Bike geflogen ist? Häckseln und Schnitzelheizung für die fach- und sachgerechte Entsorgung, die erst noch umweltfreundliches Heizen und Wärme für einen ganzen Winter bedeutet? Das Leiden des Bikers wäre eindeutig (wenn nicht sogar eineindeutig) zu gross. Schliesslich hat er sich doch auch schon beim Velofahren schwere Schürfwunden zugezogen, die einer mühseligen Heilung bedürfen, die Passionsgeschichte, also die Geschichte seines Leidens, braucht nicht noch dramatisiert zu werden.

Das regionale Arbeitsvermittlungszentrum wird ihm eine Weile Geld für die Haushaltskasse zukommen lassen. Als Gegenleistung wird gute Vermittelbarkeit und eine bestimmte Anzahl Bewerbungen erwartet, ist ja ganz klar. Aber wie immer: Eile mit der dazugehörigen Weile.

passion

Was soll er denn in seinen Bewerbungsbriefen schreiben? Etwas Originelles hätte er doch bei den Bewerbungsbriefen abgucken können, die er bei der Auswahl, als er noch Personal einstellen durfte, jeweils fein-säuberlich geprüft hatte. Bei vielen hat da bei den Hobbys gestanden: «Passionierter Biker, geht Risiken ein.» Das klingt doch originell, und zufällig trifft es auch auf den Topkader zu, auf den alle gewartet habe. Also, entschieden, das gehört auch in die Bewerbungsunterlagen rein.

Warum aber will die Passion kein Ende haben? Wer mit soviel Passion im Wald herumfährt, sich zum Baum machen lässt und erst noch nicht einmal von Schürfwunden zurückschreckt, sollte doch belohnt werden. Wo ist die Wucht geblieben, die man bekommt, wenn man einen riesigen Berg hinunterrollt?

Dummerweise – oder für den passionierten Workaholig: glücklicherweise – haben die beiden Passionen nicht mehr viel gemeinsam: Die Passion als Leidensgeschichte wurde direkt aus dem Lateinischen entlehnt, und das schon vor einigen Jahrhunderten, die Passion, welche die Leidenschaft meint, hingegen aus dem Französischen. Wer aber auch bei Leiden-schaft noch stutzig wird, dem geht es so wie dem Verfasser dieses Textes. Das Leiden steckt ja auch im deutschen Wort noch drin.

Die Leidenschaft ist für den Ersatz des französischen passion geschaffen worden, also als Ersatz für das Wort, das ein Gefühl eines bewegten Gemütszustandes beschreibt. Wenn man es nicht besser wüsste, würde man wohl zur Annahme kommen, dass sich die Bedeutung gewandelt hat von der christlichen Passion, die oft auch als einzelner Begriff das Leiden Christi beschreibt. Das Deutsche war hier aber ausnahmsweise einmal nicht wahnsinnig kreativ. Unser passionierte Biker ist also – Gott sei Dank – eher eine Ausnahme als dass er die deutsche Wortgeschichte im bildhaften Sinne demonstrieren würde. Hier lohnt sich die Frage: «Wer hat’s erfunden?»