Nackte Körper im Wald

Die Hitze scheint jetzt auch die Personen erreicht zu haben, die sich an alles gewöhnen.

Es gibt die erstaunlichsten Sachen zu sehen, wenn man sich auf einen Waldspaziergang begibt. Die üblichen Verdächtigen sind schnell ausgeschlossen: Die Waldarbeiter haben sich verzogen, Fuchs und Hase machen Sommerpause, die Rehlein machen Ferien ausserhalb des Waldes und tummeln sich auf den saftigen Wiesen der Bauern.

Saftig sieht denn auch das Fleisch aus, das durch den Wald spaziert. Mit hochrotem Kopf und einem Polarstern auf dem Bauch läuft es durch den Wald. Das Sternband umfängt den Bauch akkurat in der Mitte. Man würde gerne wissen, was die Pole am Äquator zu suchen haben, aber man soll Reisende nicht aufhalten.

Diesen Siebenmeilenstiefelläufer erst recht nicht, denn das Fleisch trieft, als ob man es anbraten würde, eine richtig saftige Angelegenheit. Dem Vorbeigehenden stellt sich nur die Frage, ob das Fleisch denn auch geniessbar sein wird.

So hastig muss es durch den Wald gehen, dass nicht einmal Begegnung möglich wird. Kein Gruss, auch kein Nicken. Kein Wunder: Nur totes Fleisch wird angebraten.

Muss man sich Sorgen machen?

Immer mal wieder kommt ein Besucher über Google auf diese Seite. Gar nichts Besonderes an sich, denn der grösste Teil der Besucher kommt beim ersten Mal über Google. Wenn Leute mit den Suchbegriffen «Körper abhärten» oder «Junge abhärten» auf die eigene Seite kommen, weil man einmal einen Artikel über Agota Kristofs Grand Cahier veröffentlicht hat, ist das doch ein bisschen unangenehm.

Was sind das für Leute, die sich abhärten wollen? Aus welchem Grund denn? Und vor allem: sollte man sich Sorgen um diese Leute machen? Leider gibt es keine Möglichkeit, auf irgendeine Art und Weise zu helfen. Man sieht nicht, um wen man sich Sorgen machen müsste; noch viel weniger sieht man, aus welchem Grund die Leute nach diesen Begriffen suchen. Und wer hat schon nicht irgendwann nach ganz komischen Dingen gesucht, weil man weiss, etwas gelesen zu haben, aber nicht mehr wo?

Vor einiger Zeit habe ich mit der Nuss darüber gesprochen, sie hatte einen prekäreren Fall, der sehr viel Traffic über die Suchmaschinen generierte. Einmal hatte sie nämlich die Effektivität von Selbstmord-Methoden diskutiert, die auch in Zeitungen stehen. Sie hat sich dafür entschieden, den Artikel vom Netz zu nehmen.

An diesen Gedanken schliessen ganz schnell einmal ziemlich grundsätzliche Diskussionen an, wie liberal man auf diesem Gebiet denken darf oder kann. Wie nimmt man Verantwortung gegenüber von Personen wahr, die bloss über Google auf einen einzelnen Blog-Beitrag gespült werden? Werden sich diese Leser im Blog umschauen und auch andere Artikel ansehen, bevor sie zum nächsten Resultat weiterklicken?

Als Blogger muss man darum bitten.

Krieg gegen sich selbst?

Ob Grossbritannien Krieg gegen sich selbst führe, fragt A. L. Kennedy pointiert. Dass es sich um einen geistigen Krieg handeln muss, der sich gegen den Abbau von Zugängen zur Kultur richtet und zur Wehr setzt, wird schnell klar.

Die Frankfurter Allgemeine Zeitung nennt A. L. Kennedy, die soeben den 1. Internationalen Eifel-Literaturpreis entgegennehmen konnte, eine der wichtigsten Autorinnen der Gegenwart. Wenn ihre Bücher auch so reflektiert sind wie die Dankesrede für den Preis (die ich zu lesen jedem ans Herz lege!), scheint dies tatsächlich der Fall zu sein.

Ganz im Gegensatz zu meinem Entwurf der idealen Bibliothek, die im Wabenmuster aufgebaut ist, konstatiert die Literatin Erschreckendes: «Wir haben unser Bibliothekswesen zerstört, wir haben unsere eigenen Bücher entfernt, Gebäude geschlossen und Öffnungszeiten reduziert. Wir verbrennen keine Bücher, das nicht, aber wir lassen sie still und leise verschwinden.»

In Grossbritannien ist mit dem Wegfall der Buchpreisbindung auch im Buchhandel ein riesigies Problem entstanden, wie mir meine Buchhändlerin erklärte. Zwei Jahre nach der Aufhebung der Buchpreisbindung habe man noch nicht viel davon gespürt, aber jetzt, wo auch die Supermärkte eingestiegen sind, verdrängten Bestseller immer mehr die Auswahl vom Markt.

Eine Situation, die nicht wirklich einleuchten mag, denn gerade der Wettbewerb sollte doch, so das Wort der neoliberalen Wunderheiler der Marktwirtschaft, auch für mehr Vielfalt sorgen.

A. L. Kennedy bezieht auch klare Position zu diesem Thema, viel mehr aber betont sie auch, «dass Lesen etwas in sich hat, was, wie ich sagen würde, von Natur aus gut ist.» Ob Lesen gut oder schlecht ist, sei dahingestellt. Vielmehr bleibt darauf hinzuweisen, dass in der Schweiz die Buchpreisbindung im August zur Debatte stehen wird. Die Schweizer Buchhändler und Verleger versuchen momentan ihr Bestes dafür, damit sich die Buchvielfalt bewahren lässt. Bis zum August, wo definitiv entschieden werden wird, ob die Buchpreisbindung bleibt oder nicht, bleibt nur zu lesen.

Einige weiterführende Links zum Thema:

  1. Arbeitszimmer von A. L. Kennedy (sieht ein bisschen aus wie eine psychoanalytische Praxis)
  2. A. L. Kennedys Homepage
  3. Gekürzte Fassung der Dankensrede bei der FAZ
  4. Buchvielfalt bewahren.

Zeitungen der Weltordnung

Eine Zeitung klatscht gegen die Fensterscheibe. Oberhalb seines Kopfes surrt irgendein Insekt unbeirrt weiter. Klatsch, klatsch. Der surrende Fliegkörper flieht in ein anderes Abteil. Der Herr gesetzten Alters regt sich lauthals darüber auf, das Mistvieh nicht getroffen zu haben. Man sieht ihm an, dass er es bereut, nicht seinen ultramodernen Fliegenklatscher bei sich gehabt zu haben, der das Minilebewesen grilliert und geniessbar gemacht hätte. Man denke nur an die Proteine!

Beim Aussteigen erklärt er, Ordnung müsse sein. Man könne doch nicht überall Zeitungen herumliegen lassen. Ein Nicken bestätigt seine Aussagen. Wenn man bis zur Rolltreppe den gleichen Weg genommen hätte wie er, hätte er einem seine Weltordnung noch ausführlicher erklären können: Einmal in der Woche wird das Auto fein säuberlich herausgeputzt. Manchmal habe man ja Blätter an den Schuhen, das könne ja passieren. Aber Ordnung sei das Mindeste im Leben. «Sie haben doch bestimmt auch gerne Ordnung, sonst hätten Sie ja nicht die Zeitungen aus dem fremden Abteil weggeworfen?

Heimlich ertappt man sich dabei, wie die Arbeiten der letzten Tage tatsächlich einen gewissen Ordnungswillen zeigen: Zeitungsartikel ausgeschnitten statt einfach ausgerissen, dieselben fein säuberlich klassifiziert nach Titel, Nummer im System, Autor, Medium und Erscheinungsdatum. Die Bücher wieder schön ins Bücherregal eingeräumt: Einerseits alphabetisch, anderseits nach Reclam und Nicht-Reclam sortiert. Die Buchrücken nur schön bis zum Rand des Regals eingereiht.

Dann blickt man in die Zukunft und sieht, wie sich die Bücher langsam zu regen beginnen, ihre Plätze nicht behalten wollen, wo sie ihn haben. Das Inwendige will zum Auswendigen werden, jedes Buch den für sich adäquaten Platz auswählen. Man hört sie schreien: «Auf den Tisch, auf den Tisch!» Bis sie sich wieder türmen, die eigene Last nicht mehr aushalten, zu Boden fallen und dabei ein schwirrendes Insekt klatschend unter sich begraben.

Die Königin des Wassers

Während technisch begabte ihre Runden wie Fische schwimmen, sind auch Wasserratten auf der Bahn, die um Himmels willen nicht den Kopf ins Wasser stecken wollen. Auch die Dame mit dem freundlichen Gesicht, die einem noch den Vortritt gewährte, weil sie eine kompliziertere Angelegenheit an der Kasse zu erledigen hatte.

Peinlich berührt streifen sich die Blicke. Dusseliger hätte man sich am Drehkreuz nicht verhalten können: Den Strichcode nach unten gehalten statt nach oben. Den Piepston vergeblich erwartet. Nochmals zurückgeeilt und Tipps von Kennern der technischen Ausstattung erhascht.

Plötzlich klappt es beim ersten Mal, dem Sprung ins Wasser steht nichts im Wege. Man stellt sich vor, elegant ins Wasser zu springen, alle um sich herum von seiner Körperspannung zu überzeugen. Nicht einmal sich selbst kann man davon überzeugen und nimmt stattdessen wie die älteren Semester, die gemütlich ihre Runden drehen, die Treppe zum sachten Einstieg ins Wasser.

Nebenan die Kinder beobachten, wie sie vom Einmeter ins Wasser springen. Dabei in die eigene Vergangenheit zurückkatapultiert werden. Bilder vom Badmeister, der Schindele hiess, tauchen auf. Wie wenn sie sich im Wasser konserviert hätten; dem Chlor jahrelang getrotzt.

Und dann schwimmt die Dame vom Eingang an einem vorbei. Demonstrativ nach draussen schauend, wie eine Königin des Wassers. Sie hat den Kopf in edler Einfachheit in die Höhe gereckt. In nahezu unerreichbarer Position. Der einzige Trost, der bleibt: Man weiss sich im gleichen Wasser sitzen.