Archiv der Kategorie: Eindrücke

Grünende Hoffnung im Kinderwagen

Schon wieder im Wald spazieren gegangen. Da ist das Wetter viel erträglicher, die Spaziergänger dadurch auch. Nur sie, die eine Frau, die ihren Kinderwagen beim steilen Abstieg bremst, zieht ein Gesicht, wie man es noch nie gesehen hat.

Warum sie so schlecht gelaunt sein mag? – Nicht alles ist den Menschen vom Gesicht abzulesen, schon gar nicht, wenn Blickkontakt explizit verweigert wird, nur ja keinen Blick durch die Augen nach innen erlauben! Und auch wenn man gewillt ist, das Unerklärliche zu erklären, sollte man es mit Erklärungen von Gesichtern so halten wie es Zettel in Shakespeares Sommernachtstraum hält:

Zettel spricht:«[…] Ich habe ein äußerst rares Gesicht
gehabt. Ich hatte ’nen Traum – ’s geht
über Menschenwitz, zu sagen, was es für
ein Traum war. Der Mensch ist nur ein
Esel, wenn er sich einfallen läßt, diesen
Traum auszulegen.» (4. Aufzug, 1. Szene)

Man wäre also ein Esel, zu erklären, was dieser Frau das Gesicht bei Temperaturen wie diesen einfrieren lässt. Polarsterne auf nackten Bäuchen werden es wohl nicht gewesen sein.

Viel schöner wäre es allerdings, wenn ihr Gesicht mit einem Lächeln darauf versteinern würde. Ein Lächeln, das für andere da ist, ein Lächeln, das weitererzählt werden will, und ein Lächeln, das der grünenden Hoffnung im Kinderwagen ein Fundament zu legen weiss.

So wie die Büste im Garten:

Ernstes Lächeln im Garten

Die Königin des Wassers

Während technisch begabte ihre Runden wie Fische schwimmen, sind auch Wasserratten auf der Bahn, die um Himmels willen nicht den Kopf ins Wasser stecken wollen. Auch die Dame mit dem freundlichen Gesicht, die einem noch den Vortritt gewährte, weil sie eine kompliziertere Angelegenheit an der Kasse zu erledigen hatte.

Peinlich berührt streifen sich die Blicke. Dusseliger hätte man sich am Drehkreuz nicht verhalten können: Den Strichcode nach unten gehalten statt nach oben. Den Piepston vergeblich erwartet. Nochmals zurückgeeilt und Tipps von Kennern der technischen Ausstattung erhascht.

Plötzlich klappt es beim ersten Mal, dem Sprung ins Wasser steht nichts im Wege. Man stellt sich vor, elegant ins Wasser zu springen, alle um sich herum von seiner Körperspannung zu überzeugen. Nicht einmal sich selbst kann man davon überzeugen und nimmt stattdessen wie die älteren Semester, die gemütlich ihre Runden drehen, die Treppe zum sachten Einstieg ins Wasser.

Nebenan die Kinder beobachten, wie sie vom Einmeter ins Wasser springen. Dabei in die eigene Vergangenheit zurückkatapultiert werden. Bilder vom Badmeister, der Schindele hiess, tauchen auf. Wie wenn sie sich im Wasser konserviert hätten; dem Chlor jahrelang getrotzt.

Und dann schwimmt die Dame vom Eingang an einem vorbei. Demonstrativ nach draussen schauend, wie eine Königin des Wassers. Sie hat den Kopf in edler Einfachheit in die Höhe gereckt. In nahezu unerreichbarer Position. Der einzige Trost, der bleibt: Man weiss sich im gleichen Wasser sitzen.

Seeflucht

Ein Schiffsreislein nach Rapperswil. Eindrücke aus der mittelalterlichen Stadt mit aktivem Kloster und wunderbarer Promenade.

Zum Bild bin ich ja immer noch den Text schuldig geblieben. Entweder sind die Leser dieses Blogs zu kommentarscheu, es gibt gar keine Leser dieses Blogs oder – und so hoffe ich – das Bild war nicht so einfach zu lokalisieren. Hier deshalb nochmals das Bild:

Der Rebberg in der Stadt

Wenn man rechts vor dem Eingang des Kapuzinerklosters zu Rapperswil die Treppe hinaufgeht, bekommt man diese Sicht auf die Stadtmauer, den Rebberg und die Silhouette der Wohnhäuser des Städtchens Rapperswil. Geht man da noch einige Schritte mehr richtung Himmel, kann man eine wunderbare Aussicht geniessen: Auf der einen Seite die Kapelle des Klosters, an die sich ein Teich anschmiegt, auf der anderen Seite ein noch grösseres Gewässer, das den meisten bekannt sein dürfte unter dem Namen Zürichsee.

Schreitet auf die andere Seite, kann man auch den Seedamm überblicken und einen Blick auf den Obersee erhaschen. Während derjenige, der dieses Foto geschossen hat, ein paar Schritte tat, hatte er bereits eine Reise durch den halben Kanton Zürich hinter sich gebracht: Von Winterthur kommend beobachtete er, wie eine Dame mit Natur-Xylophon (wie man sie an den Afro-Pfingsten zu sehen gewohnt ist) ein ganzes Abteil für sich und dieses Xylophon verbraucht hatte.

Die internationale Aura des Flughafens liess einige Touristen und Geschäftsleute den Zug nehmen, um in der örtlichen Metropole und Grossstadt Zürich geschäftig tätig zu werden. Die einen, mit Laptop ausgerüstet, mussten sich beeilen, Sitzungen zu erreichen; Touristen konnten es ein wenig gemütlicher nehmen und mit dem Limmatschiff die Limmat hinauf zum Bürkliplatz fahren.

Vom Bürkliplatz her bieten sich mehrere Möglichkeiten, die Erkundung des örtlichen Territoriums fortzusetzen. Der Schiffreisende nimmt aber eine Perspektive ein, die ihm dieses Territorium wunderbarer, um nicht zu sagen fliessender, erscheinen lässt. Hier und da eine kurze Auszeit, gerade genügend Zeit für die Einsteige- und Aussteigewilligen, neue Wege einzuschlagen.

Die Seeflucht an sich hat dabei ihren ganz speziellen Reiz: Weder pollenartige Eindrücke noch Grossstadtsilhouetten lassen den Reisenden aus der wunderlichen Stimmung bringen; es scheint fast so, als ob des Wassers Kraft die Luft reinigte. Vielleicht eine vorauseilende Wirkung des Kraftortes, der als Ziel ausgesucht?

Gottfried Kellers Briefe

Die Zentralbibliothek Zürich hat in ihrer Sammlung einen grossen Schatz gebunkert: Handschriften aus dem Mittelalter, einige der ersten Drucke (sogenannte Inkunabeln oder Wiegendrucke) und weitere kostbare Archivalien. Darunter befindet sich auch ein grosser Teil der Manuskripte und Briefe von Gottfried Keller, einem der wohl bekanntesten Zürcher.

Aber er ist nicht nur einer der bekanntesten Zürcher. Vielmehr hat er wohl Zürich mit der Eingangspassage des Grünen Heinrichs ein Gesicht in der Weltliteratur geschenkt. Wie kein anderer lässt er den Blick über die Stadt schwenken, eine der Städte mit Anschluss an einen See, und lässt den Leser an seinem Zürich teilhaben.

Sozusagen als Geschenk auf die andere Seite lagert die Zentralbibliothek nun einen grossen Teil der Briefwechsel Gottfried Kellers. Diese Briefe werden im Zuge der neuen Historisch-Kritischen-Keller-Ausgabe neu herausgegeben, ein grosser Teil wird dabei sogar zum ersten Mal herausgegeben und einem breiteren Publikum erschlossen. Nicht jeder kann schliesslich die Briefe in der Zentralbibliothek anschauen gehen.

Dass sich nicht jeder eine Historisch-Kritische-Keller-Ausgabe zu leisten vermag, versteht sich auch von selbst. Wer allerdings die Vorzüge des Internets zu nutzen weiss – und das wissen Leser dieser Zeilen wohl –, kann sich durch ausgewählte Schriften Kellers lesen. Ganz nach Lust und Laune den Grünen Heinrich in der ersten und zweiten Fassung parallel, damit man die Unterschiede festmachen kann, die Leute von Seldwyla oder gar Kleider machen Leute. Und natürlich die Briefe, die den langwierigen Entstehungsprozess des Grünen Heinrichs dokumentieren.

Wer gerne Kritzeleien entziffert, sollte sich unbedingt die «Kolossale Kritzelei» anschauen, wie sie Heinrich Lee veranstaltet. Und weil einen das Keller-Fieber so gepackt hat, gleich so angesteckt hat, doch gleich einmal den Grünen Heinrich, Grünen Henri oder Henri vert, wie er in Briefen an Hettner genannt wird, in einem Rutsch durchlesen. Dabei am besten nicht jammern über die Dicke des Buches, bzw. der Bücher, wenn man beide Fassungen lesen möchte, sondern durch die Sprache einlullen lassen und dem Grünen Heinrich durch die Jugendjahre folgen.

«Was die Remer fürn Schmarrn zamenbaut habn» (121)

Wenn die Römer wüssten, wie die Menschen heute auf ihrem Forum Romanum herumlaufen, würden sie sich wohl im Grab umdrehen. Hier lästern sie über die Praktiken, die in den Vesta-Tempeln an der Tagesordnung standen, da macht sich Unverständnis für die riesigen Tore und Säulen breit.

Die gleichen Menschen, die ihr Unverständnis kund tun, überlegen sich mit Aussprüchen wie «Schau mal, was die Remer fürn Schmarrn zamenbaut habn» nicht, was sich die Menschen in zweitausend Jahren darüber denken, was wir im weltweiten Netz angestellt haben.

malfunction

Nicht dass dann ein Archäologe mit diesen tollen Archäologenkleidern noch irgendwelche Datengräber ausgraben könnte – dafür sind die Bits und Bytes dann wohl doch zu wenig fest und zu sehr von Magneten abhängig – aber wer schon Eintritt bezahlt, um das Forum Romanum zu besichtigen, könnte doch wenigstens ein wenig Achtung vor der Kultur zeigen, die Bauwerke hervorgebracht hat, die heute noch zu sehen sind. Niemand mag bestreiten, dass von einigen Sachen bloss Steinhaufen zu sehen sind, aber auch diese zeigen die Sorgfalt und Mühe, mit der diese einst errichtet und aufgeschichtet wurden.

Für digitale Fotografien sind die Steinhaufen dann doch noch gute genug, denn schliesslich – so könnte man meinen – geht die Repräsentation über die Jahrtausende hinweg: Die Römer, oder besser gesagt, diejenigen, die es sich leisten konnten, liessen sich Prachtsbauten errichten, mit denen sie ihre Macht repräsentieren liessen. Der Tourist will seinen Daheimgebliebenen wissen lassen, wo er war: Das Beweisfoto als Repräsentation seines Interesses an der Kultur, die er Steinhaufen nennt.

Was die Archäologen von morgen – beziehungsweise die Touristen von morgen – sagen werden, wenn sie dereinst die Papiere der heute lebenden Römer ausgraben werden, bleibt nur zu vermuten. Ein Beweisfoto hierzu:

spülung